Diktator
sie eine Ansammlung von Gebäuden, die sich um eine Straßenkreuzung gruppierten.
Garys erster Eindruck war der von weiß getünchtem Beton. Das Ensemble hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den kompakten kleinen Dörfern in Kent; es sah neu und fremdartig aus, als wäre es vom Himmel gefallen. Zumindest wirkte es nicht wie ein weiteres Gefängnis, obwohl es von einem mit Stacheldraht gekrönten Maschendrahtzaun umgeben war.
Sie hielten an einer Schranke, wo ein SS-Schütze die Papiere prüfte, die ihm die Fahrer reichten.
Gary betrachtete das Schild vor der Schranke. »›Nova Rutupiae‹. Was ist das denn für ein Name?«
»Lateinisch«, sagte Fiveash. »Oder jedenfalls das, was sich irgendein Parteigelehrter unter Latein vorstellt. Rutupiae ist der alte römische Name für Richborough, wissen Sie. Also scheint er zu passen. Richborough kennen Sie ja; Sie haben dort gearbeitet. Man hat mir gesagt, dass das Invasionsmonument vom Podium auf Rutupiaes Thingplatz aus zu sehen sein wird.«
Die Schranke ging hoch. Sie fuhren auf das umzäunte Gelände, wo sie aus dem Wagen stiegen.
»Der Zaun ist natürlich ein echtes Ärgernis«, sagte Fiveash. »Es wird eine große Erleichterung sein, wenn der Waffenstillstand unterzeichnet ist und wir all diese Schranken und sogar das Erste Ziel abreißen können – meinen Sie nicht? Jetzt kommen Sie, folgen Sie mir. Es gibt viel zu sehen.«
Sie schritt in forschem Tempo davon. Er eilte ihr nach. Zwei SS-Männer begleiteten sie in diskretem Abstand.
XVIII
Sie gingen eine Art Straße entlang. Die Gebäude waren weiß gestrichen, mit verputzten Mauern, Flachdächern, Fenstern mit Läden und kleinen, sauber gemähten Rasenflächen. Aber die Häuser waren seltsam; sie ähnelten langen Hallen, die sich von der Straße nach hinten erstreckten. Sie hatten nichts Individuelles an sich, so als wären sie in einer Fabrik aus einer Gussform entstanden. Und keines der Häuser sah bewohnt aus; sämtliche Fensterläden waren geschlossen.
Es war niemand da außer weiteren SS-Leuten und einem Trupp abgerissener, erschöpfter Arbeiter, die unter dem wachsamen Blick von Wachposten dahinschlurften. Gary fragte sich, ob sie Gefangene im Arbeitseinsatz waren. Keiner von ihnen sah ihn an.
»Das sind Wohnhäuser, wie man sieht«, sagte Fiveash. »Schade, dass sie nicht in einem ansprechenderen Stil errichtet wurden, aber momentan sind Arbeitskräfte und Materialien verständlicherweise knapp … Das größere Gebäude ist das Herrenhaus, in dem der verantwortliche SS-Offizer residieren wird.«
»Was, zum Teufel, ist das für ein Ort?«
»Ein Dorf«, sagte Fiveash. »Manche der Ahnenerbe-Denker bezeichnen es als ›Kolonie‹, aber dieses
Wort hat unerfreuliche Untertöne. Es ist als Modell gedacht – ein Vorzeigezuhause, eine Demonstration des Möglichen. Dies ist ein Lebensborn -Dorf, Gary. Kommen Sie und schauen Sie sich die öffentlichen Einrichtungen an.«
Im Herzen des »Dorfes« gab es ungeöffnete Geschäfte, deren Angebote auf hastig gemalten Schildern vermerkt waren, und ein Areal mit Schuppen und Viehhöfen, wie ein Landwirtschaftsmarkt. Es gab sogar einen britischen Pub, nachgebildet in Beton und weiß gestrichen; er hatte keinen Namen, aber auf dem Schild draußen prangte ein strenges Hitlerporträt. Was Fiveash mit dem deutschen Wort »Sportplatz« bezeichnete, war ein Komplex von Arenen und anderen Anlagen, darunter ein Fußballplatz und ein Schießstand. Ein großes, freies Feld sollte Fiveash zufolge ein Friedhof werden – ein sehr wichtiges Element dieser Gemeinschaft, sagte sie, ein Ort, um die Toten zu ehren. »Alles sehr eisenzeitlich«, sagte sie trocken.
Die imposanteste Einrichtung war der Thingplatz, eine Arena wie ein Freilufttheater mit erhöhtem Podium. Fahnenmasten ragten empor, und Gary sah Scheinwerfergerüste. Hier konnte man eine grandiose Kundgebung abhalten. All dies war brandneu und unbenutzt; Gary roch frische Tünche. Die einzige Farbe inmitten des Weiß war das leuchtende Grün der Rasenflächen.
»Sie sind einer der ersten Kandidaten, die das zu sehen bekommen.« Fiveash lächelte. Ihre Zähne blitzten strahlend weiß in der Sonne. »Vielleicht empfinden Sie
das momentan nicht so, aber es ist eine Ehre für Sie. Wirklich!«
Sie führte ihn durch das Dorf zurück zu den Wohngebäuden und öffnete eines der Häuser. Die Innenausstattung war funktional – noch mehr weiße Farbe, falsche Säulen, die den Beton maskieren sollten, und solide aussehende
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