Dinner for One auf der Titanic

nur in Mode?
    Impressionismus hieß dieses heitere Farbgemetzel. Selbst ein Kind hätte es besser gekonnt. Das musste wohl auch dieser van Gogh eingesehen haben. Vor lauter Verzweiflung hatte sich der Mann ein Ohr abgeschnitten. Gerade gestern hatte er die Geschichte noch einmal in der bordeigenen Zeitung gelesen. Auch von seinem Malerfreund, diesem Gauguin, berichtete der Artikel.
    In der Südsee war der Mann gelandet. Hatte dort reihenweise die einheimischen Hulamädchen verführt und einen ganzen Stamm von Mischlingskindern gezeugt. Die Südsee! Vielleicht war das die Lösung aller Probleme.
    Er würde seinen Servierwagen schnurstracks auf die Brücke schieben, dem Steuermann ein Tranchiermesser an den Hals halten und Kurs auf die Südsee nehmen. Auch Miss Sophies eisige Charakterverhärtung würde das sanfte Klima bald ausheilen.
    Vielleicht sollte er dieses Bild einfach aus dem Käfig holen und Miss Sophie wortlos in den Arm drücken. Dann hatte die liebe Seele ruh. Zu ärgerlich, dass er in der Bordapotheke kein Gift gefunden hatte. Eine anständige Dosis, und der verdammte Tiger wäre mit einem Sprung ins Reich seiner Ahnen gehüpft, könnte jetzt irgendwo im Himmel in der Steppe Sibiriens Kängurus jagen oder Zebras oder was auch immer dort herumlief.
    James schenkte sich einen Whisky ein und leerte das Glas in einem Zug. Wärme zog wohlig durch seinen Körper. Vielleicht sollte er sich diesem verdammten Tier von Mann zu Mann, Pardon, von Mann zu Tiger stellen? Ein paar Flaschen Whisky zu besorgen war keine Schwierigkeit, doch wie brachte man das Tier zum Trinken? Nun, er konnte ein paar Fleischklumpen dazugeben.
    James ließ sich auf einen Stuhl fallen und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Warum war er nicht früher daraufgekommen?
     
    * * *
     
    »Das ist der Doppelmaschinentelegraf, und da vor dem Steuerrad haben wir den Kreiselkompass. Hier sind die Sprechrohre, und auf der Anzeige erkennst du unsere Geschwindigkeit.«
    »22 Knoten«, hauchte Miss Sophie.
    »Hier liest man den Druck in den Kesseln ab und ...«
    Kapitän Smith tätschelte die Anzeige.
    »Ach Sophie, du hast keine Ahnung, was für ein Feuer in mir tobt.«
    Sein Arm fuhr das Messingschild entlang bis zu Miss Sophies weißen Fingern. Sie zog ihre Hand zurück.
    »Und mit all diesen komplizierten Geräten kennst du dich aus?«
    »Aber, aber, ich bin schließlich der Kapitän!«
    Miss Sophie kicherte und strahlte ihn bewundernd an.
    »Also, du befehligst Heizer, Zimmerleute, Köche, Matrosen und Mechaniker. Bis an die Küsten von Arabien, Indien und Afrika!«
    »Nun ...«
    »Ein so starker, ein so entschlossener Mann. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
    Kapitän Smith nahm ihre Hand und betrachtete sie ein paar Sekunden.
    »Elfe«, sagte er und küsste sie auf die Wange. Abrupt drehte er sich zum Steuermann um.
    »Carlington, Sie halten Ihre Augen auf das Wasser gerichtet, ist das klar?«
    »Aye, aye, Sir.«
    »Sophie-Täubchen, siehst du hier die Zeiger an den Druckmessern?«
    »Zittern sie nicht ein wenig?«
    »Nun ja, sie befinden sich in der roten Markierung.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Nun, das bedeutet so viel wie die Nacht in New York, die du mir versprochen hast.«
    »Oh«, sagte Miss Sophie.
    Kapitän Smith strahlte sie an.
    »Es wird unvergesslich werden.«
    »Unvergesslich«, sagte sie.
    »Allein, wie du da stehst.«
    Kapitän Smith schob den Ellbogen noch ein Stück weiter über den Maschinentelegrafen.
    »Wie stehe ich da?«
    »Nun, die Pose ist wie gemacht für eine Postkarte.«
    Kapitän Smith zuckte zusammen. In diesem Augenblick stürzte ein junger Funkoffizier auf die Brücke und salutierte.
    »Eismeldungen, Sir. Alles in allem haben wir sechs Eismeldungen.«
    »Verdammte Sauerei«, sagte Kapitän Smith. »Ausgerechnet jetzt.«
    Der Funkoffizier salutierte erneut und verließ die Brücke.
    »Probleme?«, erkundigte sich Miss Sophie.
    »Kein Grund zur Aufregung.«
    »Wird jetzt etwa nichts aus unserem Candle-Light-Dinner in New York?«
    »Nicht doch, das werde ich mir keinesfalls entgehen lassen. Und schon gar nicht wegen ein paar Klumpen Eis.«
    »Lightoller!«, brüllte der Kapitän. Ein Offizier, der mit einem Fernglas etwas abseitsgestanden hatte, eilte auf ihn zu.
    »Sir?«
    »Eiswarnung, Lightoller ...«
    »Halbe Kraft, Sir?«
    »Wir bleiben bei voller Kraft.«
    »Sir, aber wir können doch nicht ...«
    »Ein zweiter Mann ins Krähennest. Scharfe Ausschau nach Eisbergen.«
    »Verstanden, Sir.«
    Der