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Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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der Köche, Küchenhelfer, Geschirrspüler und -trockner, der Serviererinnen und Soßenköche, der Gemüseputzer und Besteckpolierer arbeitete wie das Räderwerk einer Uhr. Hier fühlte er sich wohl. Aus den Kühlkammern und Vorratslagern kamen sie in die Küche: Rinderviertel, Geflügel, Käse, Kisten mit Spargel und Pampelmusen, Speckseiten und Porreestangen. Lagerverwalter orderten die Ware über die Lastenaufzüge.
    »Vierzig Kisten Blumenkohl, 50 Eimer Quark und schnell acht Körbe Kartoffeln an die Maschine.« Allein vierzig Tonnen Kartoffeln sollten dort unten im Schlund des Schiffes lagern. Zumindest hatte ihm das ein Küchenjunge erzählt. Wenn man lange genug hinschaute, konnte man erkennen, dass all dieses Rühren und Schmecken, Braten, Kochen und Putzen an nur einer Anrichte und endlich auf nur einem Teller zusammenlief.
    Zu guter Letzt griff ein Steward mit seinen weißen Handschuhen zu, und das Wunderwerk wurde hinaus in den Speisesaal getragen. Und verschlungen. Nicht selten ganz gedankenlos. Ein beschämendes Ende für ein Kunstwerk, das all diese Menschen zusammengefügt hatten, fand James.
    Nicht nur für Miss Sophie, auch für die anwesenden Millionäre und die anderen Taugenichtse war für den 14. April ein besonderes Menü geplant. Alle Einzelheiten des Dinners für den Tisch von Miss Sophie hatte James bereits mit den Chefköchen erörtert.
    Austern à la Russe, pochierter Lachs in Schaumsauce, Lamm in Minzsoße und gebratenes Lendensteak mit Soße forestière waren die Eckpfeiler der Speisenfolge, die schließlich mit Pfirsichen in Chartreuse-Gelee, Obst und Käse abgeschlossen wurde.
    Erstaunliche Ehren für eine zweifelhafte Miss, die noch nicht einmal den vollen Preis für die erste Klasse bezahlte. Mehr Schein als Sein, so war’s im Leben. Von Miss Sophie allerdings hatte er mehr erwartet. Warum unterdrückte sie derart vehement ihre Gefühle? War er nicht auch ein Mann? Fühlte er nicht? Litt er nicht? Schluchzte er nicht? War er nicht aus Fleisch und Blut? Und pochte nicht auch in seiner Brust ein hingebungsvolles Herz?
    Warum weigerte sie sich, die Klassenunterschiede mutig zu überspringen?
    Hatte nicht Kapitän Smith selbst beim Morgengottesdienst im Speisesaal von seiner Kanzel neben den Besteckkästen herab gesagt, dass alle Menschen angesichts der göttlichen Herrlichkeit auf das gleiche kleine Maß zusammenschrumpften?
    Auch Miss Sophie hatte genickt. Doch sie war blind für den aufrechten Mann, der da im Frack eines Butlers steckte. Der Kosmos selbst hatte sie in dieser eisigen Frühlingsnacht mitten auf dem Atlantik zueinandergeführt. Wenn ihr nur nicht Arroganz und Gier die Sicht auf eine gemeinsame Zukunft nehmen würden. Selbst sein Brief hatte ihre Hartherzigkeit nicht mildern können. Im Gegenteil, sie hatte zurückgeschlagen. So betrachtet, tat ihm dieser etwas weltfremde Dr. Breastsucker wirklich leid.
    »Die Kuttel-Plörre für die dritte Klasse«, brüllte ein Koch und wuchtete einen gewaltigen Topf auf die Anrichte.
     
    * * *
     
    »Irgendwo muss es sein«, knurrte Finch-Meyers.
    »Wenn ich nur wüsste, was genau wir suchen ...«
    »Das wissen wir eben nicht.«
    Patsymoon Sterlingtree errötete. Sie zog eine Schublade des Schrankkoffers auf. Breastsucker hatte seine Socken, Sockenhalter, Gamaschen, Unterhemden und Unterhosen fein säuberlich in akkurat ausgerichtete Stöße geordnet.»Aber wir haben die Kabine bereits vollständig auf den Kopf gestellt.«
    »Dann drehen wir sie jetzt wieder auf die Füße. Es muss zu finden sein. Ich rieche es.«
    »Vielleicht könnte dies ...?«
    Sie hielt einen Sockenhalter in die Höhe.
    »Und?«
    »Der zweite fehlt.«
    Finch-Meyers blickte an die Kabinendecke, als erbitte er von einer höheren Macht eine Erlösung bringende Gnade.
    »Dieser Breastsucker ist ein Wissenschaftler. Die schreiben alles auf.«
    »Und machen aus ihren Notizen ihre Bücher.«
    »Ganz genau«, sagte Finch-Meyers.
    Er hielt ein Stethoskop in die Höhe.
    »Vielleicht hat er sich ja auch als Bordarzt versucht.«
    »Bei Miss Sophie?«
    »Die Beste wirkt nicht gerade leidend.«
    Finch-Meyers blätterte drei dicke Folianten durch. Ein handbeschriebenes Blatt Papier segelte zu Boden.
    »Ist es das, Sir?«
    Finch-Meyers zog einen Zwicker aus der Tasche seines Jacketts und überflog die Zeilen.
    »Höchst aufschlussreich. Eine skizzenhafte psychologische Studie. Also, hier haben wir Miss Sophie, lassen Sie mal sehen ... Weit unterdurchschnittlich ausgeprägte

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