Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
ihrer natürlichen Umgebung artgerecht ernähren. Nicht diese degenerierten, gemästeten Langhaardackel, die sogar Kriminalbeamte tyrannisieren und ihnen heimtückisch in Abstellkammern auflauern. – Aber damit ist ja jetzt Schluss, endgültig Schluss!, jubilierte er.
Ohne auch nur eine Sekunde über die Folgen seines unwillkürlichen Tuns nachzudenken, klatschte er dabei laut in die Hände. Das Ergebnis seiner unbedachten Handlung ließ natürlich nicht lange auf sich warten, ermöglichte ihm dafür aber einen gefahrlosen Heimweg. Denn selbst einem eingefleischten Stadtbewohner wie ihm war die Aggressivität frischlingführender Wildschweindamen durchaus bekannt.
›Das Wandern ist der Tanne Lust, das Wandern ist der Tanne Lust, das Wa-an-dern‹, summte Tannenberg, sich augenscheinlich bester Stimmung erfreuend, als er in die Beethovenstraße einbog. Inzwischen war es schon fast dunkel geworden. Aber auch ohne den fahlen Lichtschein der Straßenlaternen hätte er die Schleicherin wahrgenommen, die auf seiner Seite des Bürgersteigs mit ihrem Pudel flanierte.
Diesmal schlug Tannenberg nicht wie üblich, wenn er mit ihrem Anblick konfrontiert wurde, sofort einen Haken und nahm den Umweg über die Parkstraße, nein, völlig entgegengesetzt zu seinem sonstigen Gebaren, ging er auf die ältere Frau zu und blieb sogar vor ihr stehen.
„Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich Ihnen“, flötete Tannenberg ihr ins Ohr. „Sie haben doch bestimmt schon gehört, dass das süße kleine Dackelchen meiner Eltern zum Hundehimmel hochgefahren ist?“
„Och Gott, nein.“ Sie warf entsetzt die Hand vor den Mund, kämpfte mit den Tränen. „Das arme, arme Hundchen. Das arme Susilein.“
„Ja, ja. Die Wege des Herrn sind unergründlich – auch für Hunde.“
Grinsend zog Tannenberg seines Weges und vertiefte sich erneut in das von ihm vorsätzlich veränderte Wanderlied. Kurz vor der Eingangstür seines Elternhauses trat er mit Effet an eine kleinere Plastikflasche, die sich nach einem hohem Bogen auf der unbefahrenen Beethovenstraße niederließ.
Zwischenzeitlich war sein summender Liedvortrag in eine recht unmelodisch präsentierte Gesangsvariation übergewechselt. „Wa-an-dern“, hatte er gerade verlauten lassen. Nun setzte er eine kleine Pause, in der er eigentlich für eine weitere Wiederholung der ersten Strophe neue Luft hatte schöpfen wollte.
Er hatte gerade damit begonnen seine Lungen aufzupumpen, als er plötzlich wie von einem Blitz getroffen zusammenzuckte. Er hörte ein Geräusch, das er einfach nicht glauben konnte. Er hielt den Atem an, lauschte angestrengt. Dann steckte er den Schlüssel in die Tür, drückte sie fest nach innen, hastete die wenigen Treppenstufen empor. Er blieb stehen, horchte mit einem Ohr an der Tür der Parterrewohnung. Das Geräusch war immer noch da, sogar deutlicher als zuvor. Erneut sperrte er so schnell es ging das Schloss auf, stürmte in den Flur und riss die Küchentür auf.
„Ja, Kurt, was machst du denn hier?“, sagte Tannenberg, gleich nachdem er den kleinen Vierbeiner vor seinen Füßen entdeckt hatte.
Die meisten Mitglieder der Großfamilie hatten sich auf den Boden gesetzt, um das neue Familienmitglied auch gebührend zu empfangen. Nur die beiden Alten saßen auf ihren Stühlen. Entgeistert blickten sie zu Tannenberg auf. Für einen Moment herrschte völlige Stille.
Betty durchbrach als erste die Mauer des Schwiegens. „Wieso Kurt? Das ist doch kein Name für einen Hund!“, beschwerte sie sich kopfschüttelnd. „Bist du etwa schon wieder betrunken?“
„Betrunken“, äffte er mit angespitztem Mund den Tonfall seine Schwägerin nach. „Was für’n Quatsch! Bei dir muss ein Hund wohl Bello, Hasso oder Rex heißen, oder wie?“
„Aber Onkel Wolf, Kurt geht wirklich nicht“, warf Marieke unterstützend ein.
Ohne zu antworten ging Tannenberg in die Knie. Zu überwältigend war dieser Anblick. Sofort war ihm klar gewesen, dass er diesem vierbeinigen Wollknäuel fortan bedingungslos ausgeliefert sein würde. Diese unwillkürliche Kapitulationserklärung war sicherlich vor allem darauf zurückzuführen, dass dieses Wesen weitaus mehr einem kleinen Kuschelbär als einem Hund ähnelte – und auf den Betrachter einen Charme ausübte, dem man sich einfach nicht entziehen konnte.
Wolfram Tannenberg hatte sich kaum niedergekniet, da kam der drei Monate alte Mischlingswelpe auch schon schwanzwedelnd auf ihn zustürmt. Als Begrüßung drückte er ihm
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