Disziplinmanagement in der Schulklasse
als 20 Unterrichtsstörungen (Krause 2004). Und nach einer Erhebung der TU Chemnitz, die im beruflichen Schulbereich stattfand, nehmen 60 % der befragten Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer oftmals Störungen im Unterricht wahr (Steyer 2005).
Verschiedenen Lehrerbelastungsstudien der letzten Jahre ist zu entnehmen, dass Unterrichtsstörungen mit zum schwerwiegendsten Belastungsfaktor geworden sind (Bauer 2004, Krause 2004, Schaarschmidt 2004). Ständige Regelverletzungen, Unruhe, mangelnde Aufmerksamkeit und aggressives Verhalten stressen Lehrerinnen und Lehrer in starkem Maße.
Das empirische Ergebnisbild deckt sich mit meinen Erfahrungen als Psycho-logischer Schulberater. In nahezu allen Ist-Analysen, die ich seit dem Beginn der neunziger Jahre im Kontext von Schulentwicklungsprozessen moderierthabe, rangieren Unterrichtsstörungen bzw. Disziplinschwierigkeiten auf den vordersten Plätzen der ermittelten Probleme, und zwar in allen Schularten.
Dasselbe Resultat ergibt sich, wenn ich in Lehrerfortbildungsveranstaltungen zum Thema «Stressbewältigung im Lehrerberuf» die Frage nach den Auslösern von Lehrerstress stelle. In 90 % der Abfrage-Runden werden «Unterrichtsstörungen» am häufigsten genannt.
Wenn ich als Coach Lehrerinnen und Lehrer berate, die sich in schwierigen Berufsphasen Hilfe suchend an mich wenden, sieht die Situation gleich aus. In der deutlichen Mehrzahl der Fälle sind Disziplinkonflikte der zentrale Beratungsanlass.
Zum Nachdenken
In Deutschland gibt es 45 000 Schulen, an denen 12,2 Millionen Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Wöchentlich erteilen dort 739 000 Lehrkräfte 16,7 Millionen Unterrichtsstunden. Schuljährlich sind es 635 Millionen Unterrichtsstunden.
In Deutschland besteht eine Unterrichtsstunde zu 65 % aus Lehr- und Lerntätigkeiten. Die restlichen 35 % werden darauf verwendet, für Disziplin und Ruhe zu sorgen. Ganz anders sieht die Unterrichtswirksamkeit in Japan aus. Dort beträgt der Lehr- und Lernanteil 95 %, und nur 5 % entfallen auf das Disziplinmanagement.
Aus diesen Erkenntnissen kann man schlussfolgern, dass in Deutschland 222 Millionen Unterrichtstunden ineffektiv sind. Wenn man davon ausgeht, dass eine Unterrichtsstunde 75 Euro kostet, beläuft sich der unterrichtliche Qualitätsverlust auf 16,9 Milliarden Euro pro Schuljahr.
5 Ursachen von Unterrichtsstörungen
Wer störende Schüler verstehen und ihnen darüber hinaus pädagogisch begegnen will, muss hinter die Symptome schauen.
Rainer Winkel
Warum schwätzt Lara immer wieder mit Yara? Warum macht Sascha partout nicht mit? Warum beleidigt Taifun den Lehrer? Warum spielt Leon den Klassenclown? Warum kommt Kresho oft zu spät? Warum ist Deniz so zappelig? Warum macht Lukas selten seine Hausaufgaben? Für solche Störungen gibt es in den wenigsten Fällen die eine Ursache. Meist kommen mehrere Bedingungen zusammen, damit sich ein unterrichtliches Verhaltensproblem entwickelt. Die Entstehungsbedingungen können in der seelisch-körperlichen Entwicklung, in der Familie, in der Schule und im weiteren gesellschaftlichen Umfeld liegen. Im Folgenden werden die wichtigsten Erklärungsansätze näher beschrieben.
Entwicklungsverletzungen
Einer schulischen Verhaltensstörung können seelische Traumen zugrunde liegen, die sich in den ersten Kindheitsjahren in die Psyche einkerben. Typische Traumen sind Ablehnung, Misshandlung und Verstoßung. Zur Kompensation dieser Verletzungen und Kränkungen bilden sich häufig Fehlverhaltensweisen heraus, deren unbewusste Botschaften (private Logik) aus tiefenpsychologischer Sicht lauten:
«Störe, sonst wendet man sich dir nicht zu!»
«Übe Rache, wenn du verletzt worden bist!»
«Kämpfe um die Macht, sonst bleibst du ohnmächtig!»
«Stelle dich blöd, dann lässt man dich in Ruhe!»
Folge der seelischen Traumen sind nicht nur Fehlverhaltensweisen, sondern auch Moralentwicklungsstörungen. Das heißt: Aufgrund des zerstörten Urvertrauens sind die Kinder nicht bereit, sich mit den Bezugspersonen zu identifizieren und deren Werte zu verinnerlichen.
Entwicklungsverletzte Kinder und Jugendliche geraten dann mit Lehrpersonen in Konflikt, wenn diese sie an problematische Autoritätspersonen erinnern. Auslöser für diese Übertragung können sein: Geschlecht, Status, Hautfarbe, Gestik, Mimik, Stimme, Körpergröße, Körpergestalt, Meinungen, Einstellungen und Verhalten. Im Gefolge eines Übertragungsprozesses werden Beziehung und Kommunikation
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