Disziplinmanagement in der Schulklasse
war auf Tournee mit Tokio Hotel. Einen neulich gesehenen Film hat sie in ihrem inneren Kino nochmals Revue passieren lassen. Auch der Ehestreit ihrer Eltern ging ihr durch den Kopf. Obwohl körperlich anwesend, ist sie geistig abwesend.
Marcus ist Schüler der Klasse 7 einer städtischen Hauptschule. Leistungsmäßig gehört er zu den Schwächeren. Und vom Großteil der Klasse wird er abgelehnt. Sein Verhalten ist im Verlauf dieses Schuljahres immer auffälliger geworden. Er spielt den Klassenclown, gibt mit Absicht dumme Antworten, gibt Tierlaute von sich, rülpst und furzt. Bisherige Maßnahmen wie Tadeln,Ermahnen, Strafarbeiten, Einträge und ein schriftlicher Verweis haben allerhöchstens Teilerfolge erzeugt. Marcus fällt rasch wieder ins alte Fehlverhalten zurück.
Tom, 17 Jahre alt, besucht die zweijährige gewerblich-technische Berufsfachschule. Leistungsmäßig gehört er zum mittleren Drittel. Im Verlauf dieses Schuljahres ist er den meisten Lehrerinnen und Lehrern zum Ärgernis geworden (Ausnahme: Technologie- und Computertechniklehrer). Es kommt immer wieder vor, dass er zu spät aus der Pause zurückkehrt. Rügt man ihn deswegen, wird er patzig («Ich habe keine Atomuhr»). Während der Unterrichtsstunde fällt er oft durch provokative Bemerkungen auf («Den Scheiß müssen wir hoffentlich nicht lernen»). Interessiert ihn der aktuelle Stoff nicht, wird er demonstrativ unaufmerksam und verwickelt seine Banknach-barn in Gespräche. Kritik an seinem Störverhalten weist er empört zurück und behauptet, gar nicht geschwätzt zu haben.
Viele Klassenkameraden mögen Tom auch nicht, aber aufgrund seines aggressiven Verhaltensstils hat er sich einen oberen Rangplatz in der Klassenhierarchie erkämpft. Sie lassen ihn gewähren, weil sie sich vor ihm fürchten. Bisherige Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen (Ermahnungen, Tadel, Drohungen, Nachsitzen, Telefongespräch mit den Eltern, schriftlicher Verweis) haben wenig genützt. Die Eltern schieben die Verantwortung der Schule zu: «Ihr Lehrer seid doch dazu ausgebildet, mit ihm zurechtzukommen. Bei uns pariert er. Sollen wir jeden Tag zur Schule mitgehen und uns neben ihn setzen?»
Zum Nachdenken
Ben hat die Angewohnheit, in bestimmten Unterrichtssituationen die Lehrer anzugrinsen. Die Religionslehrerin fühlt sich dadurch von ihm provoziert und fordert ihn auf, sein blödes Grinsen zu unterlassen, was Ben zur Fort-setzung seines Störverhaltens motiviert. Der Physiklehrer interpretiert das Grinsen als Verlegenheit, bleibt cool und ignoriert es. Ben normalisiert daraufhin seine Mimik.
Deborah findet im Arbeitsblatt des Geschichtslehrers einige Rechtschreibfehler. Sie streicht diese mit dem Rotstift an und schreibt eine 3+ darunter. Am Ende der Stunde übergibt sie ihm das Arbeitsblatt mit süffisantem Lächeln. In der großen Pause berichtet er der Klassenlehrerin über «diese Frechheit». Amüsiert antwortet sie: «Thomas nimm’s mit Humor. Deborah hat eine sehr gute Rechtschreibkompetenz. Vielleicht möchte sie gerne Lehrerin werden.»Immer wenn die Lehrervorträge zu lang werden, breitet sich in der 7 c Unruhe aus. Der Deutschlehrer erlebt dies als sehr störend und reagiert darauf mit Ermahnungen und Sanktionen. Der Englischlehrer nimmt die Stö-rung ganz anders wahr. Er sagt zu sich: «Jetzt habe ich den Konzentrationsbogen überspannt. Es ist an der Zeit, eine schüleraktive Arbeitsphase zu beginnen.» Damit ist die Störung meist bewältigt.
4 Häufigkeit von Unterrichtsstörungen
Disziplinkonflikte prägen vielerorts den pädagogischen Alltag.
Jonas Lanig
In einer oft zitierten Unterrichtsstudie wurde bereits Ende der fünfziger Jahre ermittelt, dass Lehrerinnen und Lehrer durchschnittlich alle 2,6 Minuten mit einem abweichenden Schülerverhalten konfrontiert sind (Tausch 1958). In einer flächendeckenden Studie, die in den achtziger Jahren in Rheinland-Pfalz stattfand, wurden Lehrerinnen und Lehrer nach schulischen Verhaltensauffälligkeiten befragt (Bach u. a. 1986). Unter anderem fand man heraus, dass sich jeder vierte Schüler im Unterricht störend verhält. Nach einer Mitte der neunziger Jahre in vier Bundesländern durchgeführten Schulleiter-Befragung (Schubarth 1996) stellten an 75 % bis 85 % der Schulen Unterrichtsstörungen ein Problem dar, zwar nicht permanent, aber phasenweise.
Wie aus einer jüngeren Untersuchung des Psychologischen Instituts der Universität Freiburg/Breisgau hervorgeht, ereignen sich pro Unterrichtsstunde mehr
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