Diva (DE)
Abend das betrieben hätte, was Dorothy Kilgallen »Schnitzerjagd« nennt, an diesem Abend überschlugen sich die Erbsenzähler mit Lobgesängen.
Ich selbst bringe meine eigenen Notizen zu Papier, halte diesen Triumph für die Ewigkeit fest. Das ist heute Abend nicht nur Miss Kathies und Lilly Hellmans Triumph, sondern auch mein persönlicher Sieg. Es ist ein Gefühl, als würde ich miterleben, wie mein gelähmtes Kind plötzlich zu gehen anfängt.
Neben mir flüstert Terry, Dick Castle habe angerufen, der Produzent, er sei bereits wie ein Geier hinter den Filmrechten her. Er sieht demonstrativ nach meinen Füßen, die zur Musik wippen, und flüstert grinsend: »Bist du die Wiedergeburt von Eleanor Powell ?« Seine zappligen Hände befördern einen unaufhörlichen Strom bunter Zuckermandeln aus einer kleinen Papiertüte in seinen Mund.
Auf der Bühne schmettert meine Miss Kathie, in die schwelende, knatternde Flagge der USS Arizona gewickelt, den nächsten todsicheren Nummer-eins-Hit. Sie wirft sich panisch, manisch hin und her wie ein Tier, das in eine Falle geraten ist. Wie ein Schmetterling im Spinnennetz. Blitzende Pailletten, leuchtende Lidschatten, eine Frisur, deren Farbe und Form die schrillsten Träume sämtlicher Pfauen übertrifft, und dazu ein Lächeln, eine zähnefletschende Grimasse in purer Empörung über das Erlöschen des Lichts. Mit vor krampfhaftem Überschwang hervorquellenden Augen peitscht sich Miss Kathie durch alle diese Szenen in stürmischer, hektischer, hysterischer Verweigerung ihres nahen Todes.
Mit jeder Geste wehrt sie einen ungesehenen Angreifer ab, hält sie die Unsichtbaren in Schach. Jeder ihrer Tanzschritte ist ein Ausweichmanöver im Kampf gegen das drohende Schicksal. Miss Kathie steppt wie Donnerhall, pirouettiert wie ein flatternder, zeternder, rasender Derwisch, der um noch ein bisschen Leben bettelt. So aufgedreht ist sie in diesem Moment, so lebhaft und lebendig, weil der Tod ihr so nahe ist.
Dore Schary , der unbedingt eine Zugabe haben will, die das Publikum garantiert verlangen wird, plant hinter der Bühne bereits den Abwurf einer Atombombe auf Nagasaki . Für eine zweite und dritte Zugabe hat er Tokio und Yokohama ausgewählt.
Walter Winchell zufolge war der ganze Zweite Weltkrieg bloß eine Zugabe zum Ersten.
Auf der Bühne vollführt Miss Kathie einen furiosen Buffalo -Step, der beim Fall der Mandschurei in einen Suzy Q übergeht. Hongkong und Malaysia gehen zugrunde. Mickey Rooney als Ho Chi Minh führt die Viet-Minh in die Schlacht. Beim Doolittle Raid fallen Brandbomben auf Nora Bayes .
Und auf dem Sitz neben mir greift sich Terrence Terry mit beiden Händen an den Hals und rutscht entseelt zu Boden.
3. AKT, ERSTE SZENE
Diese nächste Szene eröffnen wir mit einem donnernden Orgelakkord. Der Akkord dröhnt weiter und geht in die Melodie von Felix Mendelssohn s Hochzeitsmarsch über. Als das Bild Konturen annimmt, sehen wir meine Miss Kathie im Hochzeitskleid in einem kleinen Zimmer stehen, das von einem riesigen Fenster beherrscht wird. Durch die offene Tür blicken wir ins Innere einer Kathedrale, unter deren Bögen sämtliche Bänke mit Leuten besetzt sind.
Ein kleines Sternbild von Stylisten kreist um Miss Kathie. Sydney Guilaroff und M. La Barbe stecken verirrte Strähnen fest, tätscheln und glätten Miss Kathies makellose Hochfrisur. Max Factor vollendet mit letzten Tupfern ihre Schminke. Meine Stellung ist nicht die einer Brautjungfer oder eines Blumenmädchens. Ich bin kein offizielles Mitglied der Hochzeitsgesellschaft, aber ich schüttle Miss Kathies Schleppe aus und entfalte sie zu voller Länge. Im rückwärtigen Teil der Kirche sage ich ihr, sie soll lächeln, und schiebe ihr einen Finger zwischen die Lippen, um Lippenstift von einem ihrer oberen Schneidezähne zu entfernen. Ich werfe ihr den Schleier über den Kopf und frage, ob sie sicher ist, dass sie das tun will.
Ihre veilchenblauen Augen leuchten durch den Schleier aus Brüsseler Spitze so lebhaft wie Blüten unter Raureif, und Miss Kathie sagt: »C’est la vie .«
Sie sagt: »Das ist Russisch und heißt: ›Ganz sicher‹.«
Impulsiv lüfte ich ihren Schleier, recke mich vor und lege meine Lippen an ihre gepuderte Wange. Sogleich habe ich den Geschmack ihres Mitsouku -Parfüms und staubigen Talkumpuder im Mund. Ich ziehe den Kopf ein, wende mich ab und niese.
Meine liebe Miss Kathie sagt: »Ti amo .« Und fügt hinzu: »Das sagen die Franzosen für ›Gesundheit‹.«
Neben
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