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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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Leben«, könnte man sagen. Jetzt war die Wiedervereinigung nur noch eineSache von Monaten und das Ende der DDR auch ohne SED endgültig besiegelt.
    Doch fliegende Westhändler und Wahlwerbung waren nicht die einzigen neuen Farbkleckse in der Stadt. Vom kleinen Tante-Emma-Laden bis zu den großen Kaufhallen wurden die Schaufenster mit riesiger Werbung für Westzigaretten, BILD-Zeitung und Langnese-Eis zugeklebt. Bunte Streusel auf grauem Untergrund.
    In die ganz normalen Geschäfte kamen zunehmend Westprodukte, zunächst noch zu horrenden Preisen. Da bezahlte man für ein Micky-Maus-Magazin 7,50 Ostmark. Aber wenigstens gab es das jetzt zu kaufen. Geradezu spektakulär war die Warenumstellung am 1. Juli. Von diesem Tag an hatten alle in der DDR durch die zeitgleiche Währungsunion nun Westgeld auf dem Konto. Die DDR-Produkte verschwanden über Nacht komplett aus den Regalen und wurden durch Westwaren ersetzt. Gestern noch tiefste Zone, heute Intershop in allen Läden. Die neuen Kassen ratterten nicht mehr, sondern piepsten leise.

Im Süden geht was
    Die »Wende« hatten sich mittlerweile die von drüben unter den Nagel gerissen, aber es blieben uns ja noch unsere Südvorstadt und das benachbarte Connewitz, wo sich in den Wendewirren einiges Interessantes tat. Noch im Dezember 1989 waren wir auf einem Punkkonzert in einem Kulturladen auf unserer Karl-Liebknecht-Straße, an dem wir bislang immer achtlos vorbeigelaufen waren. Draußen stand in großen, schon lange nicht mehr funktionierenden Leuchtbuchstaben »Nationale Front«. Damit war der Zusammenschluß aller Parteien und Massenorganisationen in der DDR für den Wiederaufbau nach 1945 gemeint. Das war nun Vergangenheit. Der Laden wurde von allen nur die »Nato« genannt. Das Konzert an diesem Abend organisierten politisch aktive Punks und Hardcore-Fans, die sich bislang der staatlich tolerierten »Die anderen Bands«-Subkultur aus Überzeugung verweigert hatten. Einige Wochen vorher hatten wir sie auf einer Montagsdemo gesehen mit Transparenten gegen Nazis, und das fanden wir natürlich gut. Hier in der Nato erlebten wir das erste Mal, wie Publikum, Bands und Veranstalter in Personalunion eigenverantwortlich etwas auf die Beine stellten. Auf der Veranstaltung wurde außerdem von einer Gruppe »Connewitzer Alternative« dafür geworben, in Connewitz Häuser zu besetzen, um sie so vor dem drohenden Abriß zu bewahren. Hausbesetzungen. Da fiel mir die Hafenstraße in Hamburg ein,denn von der wurde immer wieder im Westfernsehen berichtet. Ich erinnerte mich an Bilder von bunt bemalten Häusern, die von jungen Leuten bewohnt wurden. Das klang interessant – und auch nach Westen.
    Gab es für uns bislang immer nur die Möglichkeit, an den Wochenenden zu Konzerten zu gehen oder zu versuchen, in eine der wenigen Popper-Discos reinzukommen, begann sich nun hier quasi vor unserer Tür ein buntes Leben zu entfalten, was uns sehr zusagte. Montags gingen wir nun ins »Frontcafé« in die Nato zum Bierabend. Den Rest der Woche waren wir meistens mit den Fahrrädern zwischen Konzerten im »Grafik-Keller« in der Hochschule für Grafik und Buchkunst nahe der Innenstadt und den besetzten Häusern in Connewitz unterwegs. Unser Cliquenleben hatte sich somit völlig verändert. Der Steinplatz war Vergangenheit. Nur am Samstagnachmittag kamen wir, wie auch die Jahre zuvor, bei Triebi zu Hause zusammen und guckten gemeinsam »Formel Eins« im Fernsehen.
    In der Connewitzer Stöckartstraße, wo es mittlerweile mehrere von Punks, Studenten, jungen erfolglosen Künstlern und Hippies besetzte Häuser und ein Café gab, fanden in den Sommermonaten auf einem Innenhof zahlreiche Partys und Konzerte statt. Jetzt brauchten die Bands keine Auftrittserlaubnis mehr. Die Leute, die so was organisierten, nahmen die Dinge einfach selbst in die Hand. In Innenstadtnähe gab es Szenecafés, die in besetzten Privatwohnungen betrieben wurden.
    So lernten wir in den Folgemonaten ständig neue Leute in Leipzig kennen, die sich, aus den unterschiedlichsten kulturellen Ecken kommend, irgendwie zusammenfandenund in den entstandenen Freiräumen etwas Neues schufen, was es so noch nicht in Leipzig gegeben hatte, und wir waren live dabei. Es war die Geburt einer neuen Szene. Hatten wir beim New Wave die Glanzzeiten mehr oder weniger verpaßt, waren wir diesmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Im Rückblick haben mich diese Ereignisse wesentlich mehr beschäftigt als die Wiedervereinigung. An letzterer

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