DJ Westradio
machten ihnen die Überfälle nicht mehr so viel Spaß. Zum anderen hatte besonders die rechte Hooligan-Fraktion weniger Bock auf den Nazi-Kram und wollte lieber schöne Fußballprügeleien und Geschäftchen machen, um sich schicke Klamotten und große Autos zu kaufen.
Für das spezielle Berlin-Kreuzberg-Flair sorgte außerdem Ende November 1992 eine stundenlange Randale mit der Polizei in ganz Connewitz mit brennenden Autos, Barrikaden, Wasserwerfern und vielen, vielen Pflastersteinen. Der Mythos Connewitz war auf seinem Höhepunkt.
Unsere alte Clique ging in dieser Zeit auseinander. Die Interessen hatten sich verändert, neue Freundeskreise entstanden. Einige wurden schnell erwachsen, andere versuchten es noch ein wenig hinauszuzögern. Viele Jahre sind seitdem vergangen mit nicht weniger spannenden Geschichten, aber dafür ist hier kein Platz mehr. Nur noch soviel: Mit Nobi erfüllte ich mir Mitte der 90er einen lang gehegten Traum, wir wohnten eine Zeitlang zusammen in einer schicken WG in unsererSüdvorstadt. Vom Küchenfenster konnte man auf das Dach klettern, von wo man einen herrlichen Ausblick auf unseren Scherbelberg hatte. Vor kurzem hat Nobi seine Meisterprüfung abgelegt und die kleine Malerfirma seines Vaters übernommen.
Triebi treffe ich manchmal auf der Straße. Er wohnt noch immer in der legendären Party-Wohnung am Scherbelberg und arbeitet in einem Großküchenplanungsbüro zusammen mit seinem großen Bruder.
Nauni ist 1991 nach Süddeutschland gezogen und war zwischendurch einige Zeit in Irland. Er arbeitet heute als Intensivpfleger in einer Schweizer Universitätsklinik.
Mit Rüdi spielte ich Anfang der 90er in Leipzig in der großartigen und ziemlich erfolglosen Indie-Popband »Believe in Falter«. Er lebt seit einigen Jahren in Hamburg und ist dort Cheflayouter einer großen Lokalzeitung. Keine schlechte Entwicklung für einen gelernten Kunst- und Bauschlosser.
Thümi wohnte zunächst in einem besetzten Haus in Connewitz zusammen mit den Götzens-Zwillingen, die wieder nach Leipzig zurückgekehrt waren. Am 21. Dezember 1992 traf ich ihn seit langem mal wieder in einer Kneipe, und wir gratulierten uns noch nachträglich zum Geburtstag. Schließlich waren wir ja beide Dezemberkinder, er am 17. geboren, ich am 13.
Wir sahen uns nie wieder. Am nächsten Abend besuchte Thümi das »Zorro«, ein Jugendzentrum in Connewitz, ein netter Punkerschuppen in einer alten Fabrik mit Konzerten und einer Kneipe. Nach Mitternacht, es war schon der 23. Dezember, stürzte eines dieser Punkerkids aus einem besetzten Haus in der angrenzendenLeopoldstraße herein. Die Kids waren für ihre Autoklauereien bekannt, und eigentlich fanden die alle lästig, weil es ihretwegen oft Ärger mit der Polizei in Connewitz gab. Jedenfalls erzählte dieser junge Punker aufgeregt, daß Schlägertypen vor ihrem Haus stehen und seinesgleichen die Fressen polieren würden. Ohne lange zu überlegen, in Erwartung eines Fascho-Überfalls, rannte Thümi mit noch einigen anderen rüber zur »Leo«. Von weitem sahen sie den Pulk zum Teil mit Baseballschlägern bewaffneter Typen. Ein Auto raste auf Thümi und die anderen zu. Schüsse fielen aus dem Beifahrerfenster, und Thümi bekam gleich vier ab. Die anderen blieben unverletzt. Drei Stunden später starb er im nahe gelegenen Elisabeth-Krankenhaus. Verdammte Scheiße.
Was war nur passiert? Eines der Autoklau-Kids hatte sich Stunden zuvor einen Nobel-Mazda »ausgeborgt«. Dieser gehörte Professor Hermann, damals Hautarzt an der Uni-Klinik in Leipzig. Sein Fast-Schwiegersohn Gregor P. mit Kontakten ins »Milieu« holte das Auto aus der Leopoldstraße zurück. Hermann wollte aber auch noch den Dieb fassen. Darum standen Hermann und Gregor P. mit einigen Typen vor dem Haus in der Leo. Das Auto hatten sie schon längst wieder. Erst nach den tödlichen Schüssen auf Thümi verpißten sie sich, auch der Universitätsarzt Hermann, ohne nach ihrem Opfer zu sehen.
In mehreren Prozessen wurde Mitte der 90er versucht, den Tathergang zu rekonstruieren. Zunächst gab Gregor P. zu, Thümi erschossen zu haben, später widerrief er sein Geständnis und beschuldigte Hermann der Tat. Dieser wurde schließlich zu sechs Jahren Haft verurteilt.Viele Fragen aus dieser Nacht blieben dennoch unbeantwortet. Aber wie viele Antworten wir auch noch finden werden, lebendig würde Thümi davon nicht werden. Auf seiner Beerdigung raunte mir Felipe, der gemeinsame Freund aus Wendezeiten, zu: »Wenigstens hat er
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