Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
Westfernsehen beobachtet. Sie schienen mir nicht die Alternative zum SED-Staat zu verkörpern. Außerdem gab es doch bei uns jede Menge fähiger Leute. Nicht alle klugen Köpfe waren schon in den Westen abgewandert. Viel spannender hätte ich es gefunden, wenn man die Fehler der SED-Bonzen endlich grundlegend korrigiert hätte, ohne die Fehler zu machen, die der Kapitalismus in sich trug. Wie naiv dieser Glaube war, sollte sich schnell zeigen.
    Das Neue Forum und die anderen Bürgerrechtsgruppen des Herbstes 89 guckten dieser Tage mit ihren Ideen und Vorstellungen ganz schön in die Röhre oder hingen sich schnell an eine der großen Westparteien ran, genauso wie die alten »Blockflöten«, die Mitglieder der anderen offiziellen Parteien in der DDR jenseits der SED.
    Die Leipziger Faschos waren in Festtagsstimmung. Endlich konnte man mal schön auf der Montagsdemoungestört den Hitler-Gruß zeigen und »Rote aus der Demo raus« schreien – wen immer sie damit wohl gemeint haben mochten, denn die SED demonstrierte hier definitiv nicht mit. Die allgemeine Forderung aus dem Herbst 89 nach einem grundlegend reformierten, demokratischen Sozialismus war verflogen, hier herrschte jetzt eine neue pragmatische Realpolitik. Die »friedliche Revolution« ging in Bierzeltatmosphäre auf dem Leipziger Ring unter. Wozu sollten die Menschen in der DDR auch noch weiter für ihre Interessen eintreten? Das übernahmen nun Helmut Kohl und die BILD-Zeitung.
    Bereits im Februar 1990 gingen wir mit unserer Clique nicht mehr auf die Montagsdemo. Hier war nichts mehr zu retten. Wer jetzt Bedenken gegen eine überhastete Wiedervereinigung äußerte, wurde als »Roter« oder »Kommunist« beschimpft. Wir waren definitiv weder das eine noch das andere, aber das wollte dort keiner so genau wissen. Zuletzt waren wir mit anderen Punks und alternativen Jugendlichen auf der Demo gewesen, einige kannten wir von Konzerten, andere hatten wir dort erst kennengelernt. Wir kotzten alle mächtig über die anwesenden Faschos auf der Demo ab. Der Rest der Demonstranten nahm an ihnen keinen nennenswerten Anstoß. Schließlich wurde hier gerade deutsche Geschichte geschrieben, was interessierten da ein paar rechte jugendliche Spinner. Weder Stasi noch Volkspolizei hatten uns im Oktober von der Teilnahme an der Montagsdemo abgehalten. Nun riskierten wir, etwas aufs Maul zu bekommen von den zahlreichen Faschos in ihren Begrüßungsgeld-Bomberjacken und von den besoffenen Helmut-Kohl-Fans mit den »Allianzfür Deutschland«-Plastebeuteln. Viele von ihnen riefen im Sprechchor »Wir sind stolz, Deutsche zu sein«. Wir fragten uns, worauf sie denn eigentlich stolz wären. Auf die Alpen oder den Thüringer Wald? Die hatten die Natur geschaffen. Auf Goethe oder Schiller? Ja haben die Schreihälse an deren Werken etwa mitgeschrieben? Daß sie in einem deutschen Land geboren wurden, war doch purer Zufall, dafür hatten sie doch überhaupt nichts getan. Eigentlich kann man doch nur auf etwas stolz sein, das man selber geschaffen hat. Ich zum Beispiel war auf meine Depeche-Mode-Postersammlung stolz, denn dafür hatte ich echt geschuftet. Auf unsere erste Parole-Emil-Kassette war ich auch mächtig stolz, denn die hatten wir ganz alleine gebastelt. Auf Deutschland wollte ich nicht stolz sein. Das war mir viel zu abstrakt.
    Wenn ich in den Folgewochen von meinen Spätdiensten in der Oper nachts nach Hause lief, stöberte ich gern in den neu aufgestellten Papiercontainern herum. Früher gab man Altpapier beim SERO-Handel ab und bekam dafür ein paar Mark, wenn einen der Typ an der Papierwaage nicht wieder übers Ohr haute. Der eine Altstoffhändler in der Südvorstadt fuhr zu DDR-Zeiten schon Lada und bald nach der Wende einen sportlichen Mercedes. Erstaunlich, was man mit Altpapier in der DDR verdienen konnte.
    Jedenfalls fand ich in diesen Containern nun massenhaft ausrangierte SED-Literatur, Marx, Engels, Lenin. Die alten Parteimitglieder säuberten offenbar ihre Bücherschränke. Man hätte eine ganze Bibliothek damit einrichten können. Ich war jedoch nicht interessiert. Viel lieber angelte ich BRAVO-Magazine raus, die nunvon den nachwachsenden Teenie-Generationen nicht mehr sorgsam aufgehoben wurden, wie wir das noch gemacht hatten, sondern nach dem Durchlesen einfach entsorgt wurden. Ich fragte mich, wo wir denn hier angekommen waren, wenn man schon eine BRAVO einfach so wegschmiß.

Leipzig wird bunt
    Es wurde Frühling, und unser graues Leipzig bekam bunte

Weitere Kostenlose Bücher