DJ Westradio
Arschtritt). Gleich danach verdrückte sich der Geist zurück in seine Lampe, und sie ging verloren. Vermutlich bietet diese Lampe jetzt unwissend ein Antiquitätenhändler auf Flohmärkten an, mit dem Hinweis, die hätte bei Honecker in Wandlitz in der Schrankwand gestanden. Das ist insofern bedauerlich, weil der letzte Wunsch noch nicht ganz erfüllt wurde, da müßte der Flaschengeist noch mal ran. Wennes nach mir ginge, ich hätte da gleich drei komplett neue Wünsche. Deshalb bin ich auch in den letzten Jahren so viel auf Flohmärkten unterwegs gewesen.
Am 3. Oktober sollten wir alle Punkt null Uhr Bürger der Bundesrepublik Deutschland werden. Eigentlich hätte ich ja nun am Ziel meiner kindlichen Wünsche angekommen sein müssen. Leipzig gehörte dann zur Bundesrepublik Deutschland, auf meinem Konto lag die D-Mark, und in den Geschäften gab es nur noch Westsachen zu kaufen. Die alten SED-Fritzen waren bereits vor einem Jahr abgesetzt worden, und dafür hatten wir uns schon ordentlich gegenseitig auf die Schultern geklopft. Doch die Möglichkeit, abends unbeschwert auf der Karl-Liebknecht-Straße im Punk-Outfit rumzulaufen oder in der Connewitzer Stöckartstraße ungestört zu einem Konzert zu gehen, wurde uns gerade unheimlich streitig gemacht. Seit Wochen gab es laufend Streß mit Nazis in Leipzig. Kaum ein Abend verging, an dem man nicht von einem neuen Überfall auf besetzte Häuser, Wohngemeinschaften oder Leute auf der Straße erfuhr oder ihn hautnah miterlebte.
Am Nachmittag des 2. Oktober fuhr ich deshalb mit Thümi nach Lindenau zum Shoppen. Nicht Sekt und Feuerwerk wollten wir kaufen, sondern wir fuhren in einen dieser neu eröffneten Waffenläden, um uns Schreckschußpistolen zu besorgen. Das erschien uns eine notwendige Investition für das neue Land, in das wir keine 24 Stunden später aufgenommen werden sollten. Wir hatten Glück und erwischten die letzten beiden Knarren. Der Laden war halb leer gekauft. Für dieses geschichtsträchtige Ereignis hatten offenbar vor uns schon einige andere aufgerüstet. Anschließend fuhrenwir mit den Fahrrädern durch den Auewald zurück in unsere Südvorstadt. Auf einem einsamen Waldweg hielten wir an, setzten uns auf eine Parkbank und packten unsere neuen Errungenschaften aus. Uns ging eine Menge durch den Kopf. Zum Beispiel könnten wir nun Tränengaspatronen verschießen und müßten nicht mehr auf die Windrichtung achten wie bei der CS-Gas-Spraydose. Und noch was: Vor anderthalb Jahren hatten wir beide aus pazifistischer Überzeugung bei unserer NVA-Musterung den Dienst an der Waffe verweigert, und nun glaubten wir uns nur noch mit solchen gefährlichen Spielsachen auf die Straße wagen zu können. »Ich wollte nie eine Knarre anfassen«, sagte ich, und Thümi nickte. Wir packten die Dinger in unsere Jackentaschen und stiegen wieder auf unsere Fahrräder. Auf einem einsamen Waldweg verschossen wir beide noch je eine Platzpatrone, um zu testen, ob die Teile auch wirklich funktionierten. Jedenfalls waren sie verdammt laut.
So standen wir in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober nicht mit den anderen trunkenen feierlustigen Leipzigern auf dem Karl-Marx-Platz, der jetzt wieder Augustusplatz hieß, und freuten uns, daß nun endlich die DDR Geschichte war, sondern wir waren in Connewitz in der Stöckartstraße. Wir standen auf einem der Dächer der besetzten Häuser und warteten auf den angekündigten Faschoangriff.
Rannten wir vor einem Jahr noch im New-Wave-Outfit rum, hatten wir uns mittlerweile den neuen Zeiten angepaßt. Unsere Outfit-Vorlagen aus der BRAVO hatten ausgedient. Jetzt steckten wir in den Streetfighter-Klamotten der Westautonomen: schwarze Bomberjacke, grüne Bundeswehrhose, Schnürstiefel, in derJackentasche wartete die Motorradsturmhaube, auch »Haßmaske« genannt, auf ihren Einsatz. Immerhin alles Westklamotten.
In anderen Leipziger Stadtteilen zogen seit Monaten Fascho-Cliquen mit markigen Namen wie »Hitlerjugend Schönefeld« und »Reudnitzer Rechte« umher und machten Jagd auf ihnen nicht genehme Leute: Punks, Ausländer, vermeintliche Linke, Studenten mit Nickelbrillen, Typen mit langen Haaren. Unseren Kiez wollten wir jedoch auf keinen Fall den Nazis überlassen. Und wenn sich sonst dafür niemand zuständig fühlte, mußten wir die Sache eben selber in die Hand nehmen.
Ich war mir dennoch nicht sicher, ob ich mir wünschen sollte, daß die Faschos in dieser Nacht kamen, oder ob ich beten sollte, daß sie wegblieben. Wir waren nicht
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