Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
wir Handvoll jungen Zonis nun auf einem Sofa und – langweilten uns tierisch. Wir waren ja in der großen Erwartung dorthin gegangen, mindestens ein paar top-gestylte Punks oder wenigstens ein paar Autonome anzutreffen, die uns Ostlern aufregende Geschichten über Straßenschlachten mit der Polizei und den Faschos erzählen konnten.Aber alle Partygäste waren mindestens 15 Jahre älter als wir und wirkten eher cool bis phlegmatisch, fast stinohaft. Von bunten Punks und Abenteuergeschichten keine Spur. Immerhin hatten wir den Exotenbonus als DDR-Kids. Alle starrten uns stumm an.
    Zu vorgerückter Stunde passierte dann das, wovor wir all die Jahre in der DDR gewarnt worden waren. Von den Zeitungen, von Karl-Eduard von Schnitzler und seiner TV-Sendung »Der schwarze Kanal«, von den Staatsbürgerkundelehrern. Etwas, das im Westen Tausende junger Menschen erst in den sozialen Abgrund und schließlich in den Tod getrieben hatte: Rauschgift. Ein Typ vor uns baute sich einen Joint. Darauf waren wir nicht vorbereitet gewesen. Panik kam in mir auf. Alles, was wir davon wußten, war, daß Drogen saugefährlich waren. Cannabis, Kokain, Heroin – alles Sachen, vor denen uns die DDR immer lautstark bewahrt hatte. Nun waren wir im Westen, und keiner konnte uns mehr beschützen – außer uns selbst. Thümi fing sofort an, mit dem Typen über seinen Cannabiskonsum zu diskutieren. Der wußte gar nicht, wie ihm geschah, doch Thümi blieb bei seiner Meinung: In seinem Beisein sollten keine Drogen konsumiert werden. Leider hatte er keinen Erfolg, denn für den Westberliner war das was ganz Normales. Ein seltsamer Duft stieg aus seiner Haschisch-Zigarette.
    Thümi und ich wollten hier weg. Droge war auf dem Sofa eingeschlafen. Die Zwillinge und Enny amüsierten sich unbeeindruckt von der Gefahr des Rauschgiftes bei reichlich Westdosenbier, und so blieben wir dann doch die ganze Nacht. Erst am Morgen ging es wieder mit dem Zug zurück nach Leipzig. Das war also der Westen.
    Ich muß gestehen, ich hatte mir diesen Augenblick des ersten Westbesuches schon etwas romantischer vorgestellt. Die Intershop- und Interhotel-Atmosphäre war auf der anderen Seite jedenfalls nicht zu entdecken. Als ich 1986 in Budapest war, fand ich es dort fast westlicher als nun in Westberlin. Nur der Döner war wirklich völlig neu für mich.

Die Wende wendet sich
    Weihnachten 1989. Alle waren glücklich – wenn man mal von den SED-Genossen absah. Drei Monate »Revolution«, und schon so viel erreicht: Honecker hatte abgedankt, wir konnten nach drüben fahren, wann immer wir es wollten, die SED-Bonzen mußten uns zuhören. Zum erstenmal hatte man das Gefühl, daß dies wirklich unser Land war, weil es ja nun die Möglichkeit zu geben schien, endlich selbst an den politischen Entscheidungen teilzuhaben und eigene Ideen mit einzubringen. Was mochte uns wohl das neue Jahr bringen? Unter dem Tannenbaum lagen wie alle Jahre Westpakete von Verwandten und Bekannten, und wir freuten uns. Im Fernsehen verfolgten wir außerdem hautnah, wie sich Rumänien des verhaßten Diktators entledigte, der ganze Ostblock war im Umbruch oder besser im Abbruch. In Prag jubelten nach 31 Jahren wieder Zehntausende Alexander Dubček zu. In diesem Herbst waren nicht nur die Blätter von den Bäumen gefallen, ganze Systeme fielen zusammen und wurden weggekehrt wie altes Laub. Nun war Winter.
    Das Jahr 1990 begann ähnlich turbulent, wie 1989 aufgehört hatte. Doch das Tempo, mit dem die Ereignisse nun ihren Lauf nehmen sollten, wurde immer rasanter. Auf den Montagsdemos bestimmten jetzt schwarz-rotgoldene Fahnen das Bild – ohne das DDR-Emblem. Kaum hatten im November die ersten Zonis »Wiedervereinigung« geschrien, flippten drüben die Parteienvon der CDU bis zu den ganz, ganz rechts außen völlig aus. Die rechtsextremen Republikaner müllten gleich ab Januar die Montagsdemos mit ihren Lagerbeständen an alten Wahlkampfflyern zu, und andere Westparteien folgten. Der Montagabend verkam in Leipzig zu einer einzigen Westparteien-Werbeveranstaltung. Helmut Kohl hatte außerdem das Unmögliche versprochen und war ernsthaft dabei, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen: Deutschland und Westgeld für alle DDR-Bürger.
    Natürlich klang das verlockend. Sehr verlockend sogar. Doch Helmut war mir unsympathisch. Sein birnenförmiger Kopf erinnerte mich an unseren alten ESP-Lehrer, den alle haßten. Die West-CDU war mir ebenfalls unsympathisch. Jahrelang hatte ich ihre Repräsentanten im

Weitere Kostenlose Bücher