Djihad Paradise: Roman (German Edition)
meines Vaters nach dem Brief und stand auf.
»Du brauchst gar nicht daran zu denken, dass ich dir den jetzt vorlese«, zischte ich und schloss mich in meinem Zimmer ein. Tatsächlich, der Brief war aus dem Knast. Mein Herz hüpfte und ich bekam vor Aufregung kaum Luft. Dann riss ich das Kuvert auf und war enttäuscht. Kein Liebesbrief von Julian, sondern nur ein förmliches Anschreiben, dass ich nächste Woche Mittwoch von sechzehn bis sechzehn Uhr dreißig die Erlaubnis hatte, Herrn Julian Engelmann für dreißig Minuten zu besuchen. Mir sackten die Beine weg, ich sank aufs Bett und heulte und konnte auch gar nicht mehr aufhören zu heulen.
Bis der Mittwoch endlich herangekrochen kam, befand ich mich im emotionalen Schleudergang. Freute mich. Fürchtete mich. Hoffte. Hoffte nicht.
Und dann stand ich selbst im Knast. Wurde abgetastet, durchsucht, alles, auch meine Tasche. Fehlte nur noch, dass sie mir den Finger in den Hintern steckten. Irgendwie fühlte man sich hier sofort schmutzig und prophylaktisch schuldig.
Ich war ein wenig früher gekommen und saß nun apathisch vor der Trennscheibe und beobachtete den Beamten, der auf und ab und ab und auf lief. Ich war der pure Fatalismus. Schicksalsergeben wie eine Hindukuh. Ich konnte jetzt ohnehin nichts mehr ändern. Gar nichts.
Und dann, dann sah ich ihn. Julian, ein Häufchen Elend. Unsicher bewegte er sich vorwärts, den Blick gesenkt. Plötzlich hob er den Kopf und als er mich sah, straffte sich seine Gestalt, seine Schritte beschleunigten sich und als wir uns gegenüberstanden, wusste ich: Es war gut. Alles war gut. Obwohl wir im gleichen Raum, aber nicht auf der gleichen Seite standen, war es gut. Und es war ja nicht für ewig. Ich hätte sonst was dafür gegeben, ihn jetzt berühren zu können, aber obwohl das nicht ging, hätte diese halbe Stunde von mir aus ewig dauern dürfen, so gut fühlte es sich an, ihn zu sehen. Aber dummerweise ist eine halbe Stunde nach dreißig Minuten um. Doch ich war beruhigt. Noch vier Wochen, dann würde es wieder einen Lichtblick geben, und in knapp drei Monaten würde alles wieder wie früher sein. Ich hatte einen dicken Kloß im Hals, als ich ging. Aber ich war beruhigt. Julian and Romea – the neverending story must go on. Was denn sonst?
Ich war mir echt nicht sicher, ob Romea kommen würde. Ehrlich gesagt hatte ich sogar richtig Schiss. Ich hatte Schiss vor den beiden einzigen Möglichkeiten. Nämlich davor, dass sie käme und davor, dass sie nicht käme.
Und dann war es so weit. Ich sah Romea hinter der Trennscheibe sitzen. Ich war total aufgeregt. Am Abend vor dem Besuchstermin hatte ich versucht, mich irgendwie herzurichten und am Morgen hatte ich die Haare gewaschen und mindestens eine Stunde lang geduscht. So lange, bis Murat wütend an die Badezimmertür geschlagen hatte, damit er noch rechtzeitig seine dämlichen Waschungen machen konnte.
Romea sah müde aus. Ihre Wangen waren eingesunken und sie hatte Ringe um die Augen, aber als ich auftauchte, sprühten sie grüne Funken. Romea lächelte. Mein Herz schlug schneller und schneller. Und obwohl sie so mitgenommen aussah, kam sie mir noch schöner vor als früher, obwohl das streng genommen eigentlich gar nicht ging. Mein Hirn und mein Körper waren das reinste Chaos. Ich hätte mein Leben dafür gegeben, für eine Stunde in einem Raum mit ihr allein gelassen zu werden. Stattdessen liefen die ganze Zeit Beamte auf und ab und beobachteten die Gespräche der Häftlinge. Und dann war da auch noch diese dämliche Trennscheibe. Ich presste meine rechte Hand gegen sie und Romea legte von außen ihre Finger gegen meine. Wir blickten uns in die Augen. Nein, sie hatte mich nicht verlassen. Leider. Sonst hätte sie diese Ringe nicht. Gott sei Dank! Sonst hätte ich es hier keine Sekunde länger ausgehalten.
Meine Lippen formten ein lautloses Ich-liebe-dich und Romea formte ein Ich-dich-auch zurück.
Wir ließen uns auf unsere Stühle fallen und auf einmal wurde es komisch. Das Hin- und Hergelaufe der Polizisten irritierte mich. So viel hatte ich Romea sagen wollen und nun war mein Hirn auf einmal wie leer gefegt und die Welt da draußen erschien mir plötzlich völlig irreal.
Auch Romea schien sich nicht besonders wohl in ihrer Haut zu fühlen. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum und schien auch nicht so recht zu wissen, was sie sagen sollte. Hatte sie mich doch verlassen? Ich wagte nicht, sie danach zu fragen, denn vor der Antwort hatte ich einfach zu viel
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