Djihad Paradise: Roman (German Edition)
senkte den Kopf. Aber dann, als das Auto losfuhr, warf er mir noch einen langen, verzweifelten Blick zu. Er war das reinste Elend. Irgendwas ächzte und zuckte ganz abscheulich in mir und ich musste mir auf die Lippen beißen, bis sie bluteten, um nicht zu heulen. Ich versuchte, Julian tief in die Augen zu sehen und hoffte, dass er in ihnen lesen konnte, dass er für alles nichts konnte. Shit happens. So sieht es nun mal aus. Und diesmal waren eben wir dran.
Mich behielt die Polizei auch gleich ein. Ich musste einen Drogentest machen und der war natürlich positiv. Dann wurden meine Eltern verständigt und damit war die Flucht endgültig vorbei.
Als ich am nächsten Tag in der Eingangshalle des Flughafens Ma und Pa mit ihren Betroffenheits-Gesichtern warten sah, beneidete ich Julian fast, dass er in den Knast eingefahren war.
Wortlos wurde ich in die Elternkarosse geschoben und genauso wortlos stieg ich ein. Enttäuschung und Bitternis hatten sich zu einem giftigen Psychogas verbunden, an dem wir unbedingt alle ersticken mussten. Hach, was waren sie tief verletzt. Wie hatte ich ihnen das nur antun können? Und jetzt war ihre Tochter in ihren Augen auch noch eine Drogenabhängige. Nur, weil ich ein Mal ein paar Pillen geschmissen hatte.
Wir schwiegen uns an. Nur Theresas Augen blitzten voller Neugier, aber sie war klug genug, zu schweigen, bis wir nach Hause kamen. Während der Fahrt griff sie nach meiner Hand und ich drückte sie. Na klar, ich würde ihr alles haarklein erzählen. Später. Wenn ich mich wieder etwas beruhigt haben würde.
Jetzt war es amtlich. Ich war mit einem Kriminellen zusammen. Halt nicht meine Liga. Und jetzt auch noch Drogen. Das war meinen Eltern ja schon immer klar gewesen. Dieser Typ würde ihre Tochter mit in die Gosse reißen.
»Ich frage mich, was wir nur falsch gemacht haben«, fing Ma an.
Das war auch klar. Genau das musste natürlich kommen. »Wieso?«, fragte ich.
»Wie konntest du uns das nur antun?« Pa hatte sich vorwurfsvoll umgedreht.
Da war es ja schon. Bingo! Warum fragten sie mich eigentlich nicht, warum ich gemacht hatte, was ich gemacht hatte? Wieso mussten sie immer alles auf sich beziehen, dachte ich. »Ich habe euch überhaupt nichts angetan . Ich habe lediglich beschlossen, mit meinem Freund ein neues Leben anzufangen«, fauchte ich.
Ma fuhr. Und sie war so was von not amused, als sie rief: »Sag mal, spinnst du? Du bist sechzehn. Du kannst nicht jetzt schon einfach so ein neues Leben anfangen!«
Ich sah zum Fenster hinaus. Es regnete und Berlins Vororte verschlierten zu irgendetwas Graubraunanthrazit-Hässlichem, das kaum auszuhalten war, zumal, wenn man noch zwei Tage vorher am Meer und unter Palmen gesessen hatte.
»Blablablabla?«, fragte Pa, aber ich war weg. So was von weg. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich hätte ihm jetzt nichts antworten können. Alles perlte ab an mir, alles, außer Julians Verzweiflung.
Ich war froh, als wir zu Hause waren und verkroch mich in meinem Zimmer.
Ein paar Tage später rief Julian an. Ich freute mich so, seine Stimme zu hören, aber er sagte, ich solle ihn vergessen und dann legte er einfach auf. Toll. Danke. Was war das denn für eine Nummer gewesen? Ich hätte gern geheult, aber ich war wie versteinert. Blitzversteinert. Vielleicht sollte ich ihn wirklich vergessen.
Der Rest des Tages war grässlich. Noch grässlicher als die ganze letzte Zeit. Was hatte ich ihm eigentlich getan, dass er so mit mir umging? Das geisterte mir die ganze Nacht durch den Kopf. Ich versuchte zu schlafen, aber es ging einfach nicht. Stunde um Stunde um Stunde lag ich wach und grübelte. Das mit dem Vergessen, das konnte er wohl nicht ernst meinen.
Und irgendwann kehrte ich verstört in meinen Meerespalast zurück. Aber selbst dort sehnte ich mich nach Julian, diesem Wesen aus einer anderen Welt. Ich war wieder in meinem Nixenleben, in dem die Zeit anders lief als in meiner Romea-Existenz und in der die wichtigen Dinge sichtbarer waren, weil man sie durch das riesige Brennglas des Ozeans betrachten konnte. Meertag für Meertag wurde dieses nagende Gefühl, das sich Sehnsucht nennt, immer schlimmer und ich fühlte mich immer fremder in meiner eigenen Welt und irgendwann war es schließlich so schlimm geworden, dass ich …
Und genau da wachte ich auf. Da war er wieder, dieser Meerestraum und Julian war zu einem untrennbaren Bestandteil davon geworden. Ihn vergessen? Das konnte er vergessen. Noch vor der Schule versuchte ich, ihn im
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