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Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Titel: Djihad Paradise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kuschnarowa
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machen und dann noch eingesperrt mit diesem Vollpfosten. Wie sollte ich nur über neunzig Tage mit diesem Bekloppten verbringen, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen? Der hatte ja wohl voll einen an der Waffel. Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass Menschen und Tiere, wenn man sie zu lange einsperrt, völlig spacige Verhaltensweisen entwickeln. Was für Störungen ich wohl bekommen würde? Plötzlich vermisste ich meine Einzelzelle, aus der ich mich vorgestern noch so dringend weggewünscht hatte.
    Und dann begann eine echte Höllenzeit. Der Tag bestand aus Routinen. Immer und immer das Gleiche. Nicht dass das in der U-Haft so anders gewesen wäre, aber ich hatte dort viel Zeit zum Nachdenken gehabt, aber nun musste ich regelmäßig in der Holzwerkstatt arbeiten. Eigentlich kam ich immer erst abends dazu, darüber nachzudenken, wie ich mein Leben nach dem Knast führen könnte, aber dann war da immer diese Murat-Präsenz und die hatte nichts anderes zu tun, als wirklich jede freie Minute seine Nase in den Koran zu stecken und immer und immer wieder seine dämlichen Rituale zu vollziehen und ich konnte sicher sein, dass jedes Mal, wenn ich in unser kleines Bad aufs Klo musste, Murat gerade eine seiner gefühlt zehntausend Waschungen vollzog und sich dafür alle Zeit der Welt nahm.
    Wir sprachen kaum miteinander. Dass er meine Hand nicht ergriffen hatte, das nahm ich ihm übel. Außerdem konnte ich mir auch kein Thema vorstellen, über das ich mit ihm hätte reden können. Ich versuchte, ihn einfach zu ignorieren, aber seine Frömmelei ging mir auf den Keks. Nein, mehr als das. Es zermürbte mich. Murat schien genau zu wissen, was er tat und was er wollte und damit störte er meine Suche nach dem Ausweg aus all meiner Beschissenheit. Murat war für mich wie so eine Art Gestank, den man nicht loswurde. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren, wenn er da war. Und Murat war immer da. Auf seine stumme, überhebliche Art war er da und ich, ich musste ihn ständig beobachten. Das war echt zwanghaft. Er war die pure Provokation. Wir hatten keinen Fernseher, kein Radio, wirklich nichts, was mich ablenken konnte, in der Zelle. Ich hatte nur Murat. Und ich musste ihm zusehen, obwohl er immer und immer dasselbe tat. Nicht mal lesen konnte ich, weil mich das Rascheln des Koranpapiers nervte, weil es mich anödete, wenn der kleine Teppich ein schleifendes Geräusch auf dem Fußboden erzeugte, wenn Murat sich hinkniete. Und wenn er wieder aufstand, schleifte der Teppich wieder. Und wenn ich Sit-ups machte und Liegestütze, um hier körperlich nicht vollkommen vor die Hunde zu gehen, dann starrte er mich an. Vollkommen unverwandt. Wie eine Schlange oder ein Krokodil. Murat war ein Folterinstrument. Ein Fleisch gewordener Albtraum. Selbstgerecht und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Und eines Tages war Murat auch noch in meinen Träumen. Er verfolgte mich. Und er quälte mich im Traum weiter. Murat war alles, was ich nicht war. Murat hatte einen Plan und ich, ich hatte nichts.
    Es war unverkennbar – ich wurde verrückt und Murat tickte gelassen weiter. Er war der Zünder und ich die Zeitbombe.
    Mein einziger Halt war die Zeichnung. Ich fixierte sie und starrte und starrte, bis Murat immer unwichtiger wurde und ich in grüngelbgoldenen Tiefen verschwand. Ich tauchte hinunter zu Romea, die einen Hofstaat aus Fischen um sich herum hatte, und ich umklammerte ihre Schwanzflosse und flehte: »Hol mich hier raus, Süße! Bitte hol mich hier raus!«
    Und Romea erhob sich und umarmte mich. »Natürlich hole ich dich da raus. Aber zuerst musst du mich rufen.«
    Das Grüngelbgold löste sich auf zugunsten einer weißen Wand und einer Schwarz-Weiß-Zeichnung und des Geräuschs eines schleifenden Teppichs.
    Ich hätte Murat erschlagen können.
    Und noch am gleichen Tag brach ich meinen Vorsatz, dass ich Romea nicht mehr sehen wollte, und stellte einen Antrag auf Besuchserlaubnis. Zweimal eine halbe Stunde pro Monat stand mir zu. Ich vermerkte Romea Achenbach und, wo ich gerade dabei war, auch Tom, obwohl ich nicht recht daran glaubte, dass er sich aufraffen würde. Und damit begann das große Warten. Auf Romea, natürlich. Tom würde ja sowieso nicht kommen und außerdem hatte ich ihn zu einem Besuchstermin eingeladen, der vierzehn Tage nach Romeas lag …

Das war’s dann. Aus dem Himmel rausgeschmissen. Ohne Rückfahrschein. Shit!
    Julian wurde gleich vor dem Club in einen Polizeiwagen gestoßen. Apathisch ließ er sich das gefallen und

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