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Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Titel: Djihad Paradise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kuschnarowa
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einstürzen, wovon ich annahm, dass es Grundfeste meiner Existenz waren.
    Ich fragte mich allen Ernstes, wer ich war. Ich tat neuerdings Dinge, die ich früher abgelehnt, ja verachtet hatte. Was machte ich hier und warum?
    Prüfend ruhte mein Blick auf meinem Gesicht, das fest umrahmt von einem Kopftuch war. Nie im Leben hätte ich früher ein Kopftuch getragen, aber ohne es fühlte ich mich hier verloren. Niemand hat mich gezwungen, es aufzusetzen, aber ohne es war ich die Fremde. Nicht dass ich ausgegrenzt worden wäre, aber ohne es fühlte ich mich als Zaungast. Mehr als das. Irgendwie fühlte ich mich ohne das Kopftuch nackt. Das war es. Ich fühlte mich nackt, bloßgestellt, dargeboten. Und mit ihm befand ich mich irgendwie in einer Art geschütztem Raum, der die Welt ein wenig auf Abstand hielt, wenn ich in der Stadt unterwegs war.
    Bei den Frauen fühlte ich mich wohl. Sie waren einfach da und machten ihr Ding. Aber die Dinge, die es zu tun gab, ermüdeten mich, denn es waren keine besonders spannenden Dinge, die sie machten. Dinge, um die sich wahrscheinlich, seitdem es Menschen gibt, noch nie jemand gerissen hatte und die dann traditionell den Frauen zugeschoben wurden. Wo waren die Abenteuer? Aber es zeigte sich, dass es hier einfach keine Abenteuer gab. Nur Routine. Jeden Tag das Gleiche. Kochen, backen, aufräumen, putzen und wieder kochen, backen, aufräumen, putzen. Der Koch-, Back-, Putz- und Kindergroßziehdienst Allahs. Die Hausfrauen Allahs. Und wir waren es, die die Bühne bereiteten, auf der die Männer dann ihre Vorstellung gaben und vor der wir dann andächtig zu stehen hatten, um verborgen natürlich, aber bewundernd zu ihnen aufzusehen.
    »Das ist das Radikalste, das Andersartigste im Vergleich zu allem, was wir bisher gekannt haben«, hatte Julian gesagt. Fing er nun völlig an zu spinnen? Ja, radikal war es im Vergleich zu der Welt, in der wir aufgewachsen waren. Und andersartig. Ja, auch das. Aber eben nur im Vergleich zu dem, wie unsere Eltern lebten. Ein bisschen war es, als lebten wir in der Vergangenheit. Aber mir leuchtete es nicht ein, was an den alten Rollen gut sein sollte. Aber ich hatte es ja selbst zu Julian gesagt. Es ging um Sinn und nicht um Abenteuer. Trotzdem fragte ich mich, ob diese Rolle wirklich zum Glauben gehörte. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich mich veränderte, nicht aktiv, die Gemeinschaft veränderte mich. Ich passte mich an. Sich nicht zu verändern bedeutet stehen zu bleiben, aber sich zu verändern bedeutet nicht zwangsläufig, dass man es auch zum Besseren tut, oder?
    Aber das war nur die eine Seite und die andere gefiel mir umso besser. Hier gab es diese Mühle nicht. Erfolg und Dinge waren scheißegal. Das Einzige, was zählte, war die Gemeinschaft. Und wenn du reden wolltest, dann war immer jemand da. Und nicht nur in dem Sinn da, dass sie sich anhörten, was man sagte, sondern sie schienen das Erzählte zu spiegeln. Empathie oder so. Der Einzelne zählte zwar nicht, aber es war immer einer für ihn da und auch, wenn die Alltagsdinge, die wir machten, an sich langweilig waren. Aber dadurch, dass sie immer von mehreren gleichzeitig getan wurden, war es fast immer unterhaltsam und Zeitdruck gab es praktisch nie. Andererseits – zum Nachdenken kam man auch nicht. Aber ich gewöhnte mich daran. Sogar an die Hausfrauendinge gewöhnte ich mich. Das lag nicht zuletzt an Shirin. Shirin, die Frau, die mich gleich bei unserem ersten Besuch in die Gruppe eingebunden hatte. Shirin, die Mütterliche. Shirin, die schon so viel Dreck hatte fressen müssen – ihr Mann hatte sie mit ihren fünf Kindern sitzen lassen, zwei Krebs-OPs hatte sie hinter sich und eines ihrer Kinder war bei einem Unfall gestorben – und die trotz allem immer heiter war. Das, genau das war Shirin. Mehr oder weniger führte sie die Frauengruppe an und obwohl sie oft vieles weniger eng sah als die anderen Frauen, akzeptierte man sie als heimliche Anführerin. Sie hatte es geschafft und streute täglich ein wenig Anarchie in die strenge Hierarchie. Und dafür liebte ich sie. Shirin war dreißig Jahre älter als ich, aber ich glaube, dass wir trotzdem Freundinnen waren.
    Woran ich mich jedoch nicht gewöhnen konnte, war die Tatsache, dass ich Julian praktisch kaum noch sah, obwohl wir unter einem Dach wohnten. Und obwohl es wirklich kaum Gelegenheit für Selbstmitleid gab, vermisste ich ihn. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Gleichzeitig gefiel es mir hier und gleichzeitig

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