Djihad Paradise: Roman (German Edition)
Himmel oder Hölle geglaubt, aber hier glaubten es alle. Und je öfter ich diese Sätze hörte, desto mehr glaubte ich sie selbst. Wer war ich, dass ich mir einbilden konnte, besser zu wissen, was richtig und was falsch war, als der Imam? Wie konnte ich mich gegen das stemmen, was alle glaubten? Und warum auch?
Irgendwie war es cool zu wissen, dass man immer das Richtige tat, wenn man nur den Koran und die Aussagen des Imam befolgte. Nicht wie da draußen, wo ich meinem Vater meistens hatte sagen müsse, wo es langging und das, ohne selbst zu wissen, was richtig war. Hier war alles so leicht und obwohl mein Tag in erster Linie aus Regeln bestand, fühlte ich mich irgendwie schwerelos. Schwerelos, abgesehen davon, dass ich Romea sehen wollte. Es war, als hätte sie sich zwischen den Ritzen der türkisblauen Kacheln aufgelöst. Bei den Gebeten wusste ich, dass sie da war, aber ich musste vorne stehen und sie hinten und ich konnte mich ja schlecht dauernd nach ihr umdrehen. Deswegen, genau deswegen stehen Männer und Frauen beim Gebet getrennt, damit sie sich nicht ständig gegenseitig von Allah ablenken. Aber wie sollte ich beten, wenn ich mich doch so sehr nach ihr sehnte?
Also beschloss ich nach ein paar Tagen, den Koran-Unterricht zu schwänzen und sie nach dem Gebet abzupassen. Als ich sie so sah mit Kopftuch, im Kreis der anderen Mädchen und Frauen, kamen mir kurz Zweifel. Eigentlich fand ich sie ohne hübscher, aber dann riss ich mich zusammen. Es ging nicht darum, gut auszusehen, sondern nicht vom Wesentlichen abzulenken. Und trotzdem musste ich sofort an Sex denken. Ob sie das Kopftuch auch beim Sex tragen würde? Sicher nicht. Oder doch? Vielleicht sollte ich den Imam fragen? Blödsinn, ich konnte den Imam doch nicht nach Sex fragen. Zumindest nicht, solange wir nicht verheiratet waren, aber dazu mussten wir ja erst einmal konvertieren.
»Romea«, rief ich ihr leise zu.
Sie löste sich aus ihrer Gruppe und kam zu mir rüber. Neugierig beobachteten sie die anderen Mädchen und tuschelten. Als sie vor mir stand, senkte sie die Augen. Romea senkte die Augen! Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Das … das war so wenig Romea-haft. Romea in die Augen zu sehen, das bedeutete, in ein schlingpflanzengrünes Feuerwerk zu blicken, aber doch nicht auf ihre gesenkten Lider. Auf einmal war alle Leichtigkeit zu Schwere geworden.
In diesem Augenblick bemerkte ich, dass der Imam mich missbilligend musterte. Romea warf den anderen Frauen einen verunsicherten Blick zu.
Also sagte ich schnell zu ihr: »Wollen wir nicht die Schahada sprechen?«
»Ich glaube schon. Aber gib mir noch ein ganz klein wenig Zeit«, sagte sie.
Das hatte sie neulich schon gesagt und irgendwie ärgerte es mich, dass sie sich immer noch nicht sicher war. Klar, ich hätte die Schahada auch alleine sprechen können, aber das hier, das war doch unser Ding. Das war unsere gemeinsame Flucht und deswegen wollte ich auch unbedingt mit ihr das Glaubensbekenntnis sprechen.
Und obwohl ich selbst gerade voller Zweifel war, hielt ich eine glühende Rede: »Was gibt es da noch zu überlegen? Hast du dem Imam nicht zugehört, oder was? Was willst du noch von dieser Welt? Sie ist bis zu den Wurzeln verfault und verrottet!«, sagte ich zu ihr. »Du willst etwas dagegen tun? Du willst anders sein als die anderen? Mehr anders sein als hier kannst du nirgends. Das ist das Radikalste, das Andersartigste im Vergleich zu allem, was wir bisher gekannt haben.«
Romea verdrehte die Augen. »Was für ein Blödsinn. Das ist doch hier kein Abenteuerspielplatz. Es geht um viel mehr, kapierst du das denn nicht? Sinn. Glaube. Gott. Darum geht es. Nicht um ein billiges Abenteuer!« Ärgerlich hatte sie die Stirn gerunzelt und wandte sich zum Gehen.
»Und heiraten?«, rief ich ihr nach und beglückwünschte mich zu dieser Sternstunde der Brachialromantik. Das war ja fast, als hätte mein Schwanz höchstselbst gemäß seinem Bedürfnis gesprochen.
Sie drehte sich noch einmal um und da war sie plötzlich, die echte Romea, und lächelte ihr Funkensprühlächeln. »Ja«, sagte sie lapidar und ließ mich stehen.
Die Schwere glitt von mir herab und ließ die Leichtigkeit zurück. Ich schüttelte meine Zweifel und Romeas Zerrbild ab, das ich zu sehen geglaubt hatte, und dann war ich tagelang damit beschäftigt, zu verkraften, dass sie Ja gesagt hatte. Einfach so – ja.
Der Aufenthalt in der »Salafiyya-Bruderschaft« verwirrte mich. Verunsicherte mich. Ließ alles
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