Djihad Paradise: Roman (German Edition)
auch wieder nicht. Manchmal wollte ich einfach nur weg, aber zurück in mein altes Leben wollte ich auch nicht. Ich erfuhr hier so viel Herzlichkeit, wie ich sie »draußen« niemals erlebt hatte, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es nicht das Richtige für mich war. Manchmal ertappte ich mich auch dabei, dass ich das Verhalten der anderen Frauen nachahmte und plötzlich beschämt war, wenn ein Mann mich ansah. Das war doch nicht ich? Aber wenn ich ginge, würde ich Julian verlieren.
Eines Tages nahm mich Shirin in den Arm und fragte: »Was ist denn los? Du wirkst so verzweifelt?«
Und da erzählte ich ihr alles. Meine Zweifel. Meine Sehnsucht. Und davon, dass ich manchmal einfach hier wegwollte.
Shirin sah mich lange an. Dann sagte sie: »Romea, Kind. Du musst dich entscheiden. Entweder für den Glauben, dann musst du die Schahada sprechen. Aber wenn du sie sprichst, dann musst du auch ganz nach den Regeln hier leben. Und wenn du das nicht kannst, dann solltest du es besser lassen. Ein halber Mensch kann niemals glücklich sein.«
»Aber Julian?«, fragte ich.
»Tja. Ihm kannst du nur nahe sein, wenn er seinen Glauben ablegt oder du seinen wirklich annimmst. Wenn ihr beide die Schahada gesprochen habt, dann könnt ihr heiraten.«
»Julian hat mich heute gefragt«, beichtete ich ihr.
»Und, was hast du gesagt?«
»Ich hab Ja gesagt.« Ich hatte Ja gesagt. Früher hatte ich mir das gar nicht vorstellen können. Heiraten. Wozu? Aber vorhin hatte ich Ja gesagt. Und ich hatte es auch so gemeint. »Shirin, aber ich kann doch noch gar nicht heiraten. Ich bin doch erst siebzehn!«
»Na und? Hier dürfen Zwölfjährige heiraten.« Sie lachte laut auf. »Das Gesetz der Politiker gilt hier nichts. Hier zählt nur die Sharia.« Sie strich mir über die Haare. Wenn wir Frauen unter uns waren, legten wir meistens das Kopftuch ab. Mir schwirrte der Kopf. Heiraten mit zwölf? Ich war mir echt nicht sicher, ob ich hier richtig war. Aber Julian und dieses Gefühl beim Beten. Das konnte ich doch nicht einfach so aufgeben, oder? Ich musste ziemlich deprimiert gewirkt haben, denn Shirin sah mich mitleidig an: »Du wirst deinen Weg schon finden«, versuchte sie mich zu trösten.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Gute Nacht, Shirin!«, sagte ich und ging auf mein Zimmer im Frauentrakt des Hinterhauses.
Du wirst deinen Weg schon finden. Da war ich mir gerade gar nicht so sicher. Im Moment schien mir, dass weder das eine noch das andere mein Weg war. Und das wiederum bedeutete, dass ich weiterhin ein halber Mensch bleiben würde. Und Shirin hatte ganz recht: Halbe Menschen wurden niemals glücklich.
In dieser Nacht dauerte es sehr lange, bis ich schlafen konnte. Irgendwann knipste ich das Licht wieder an und schüttelte die Nixenschneekugel, die Theresa mir geschenkt hatte. Die Fische tanzten und tanzten. Tanzten erst um die grünschwänzige Plastikfigur, dann tanzten sie um mich und ich sah mein Leben unter der Lupe der Wasseroberfläche. Undine, ich war so eine Art Undine und die schwamm unruhig hin und her. Sie hatte Angst und musste sich entscheiden. »Tu ich’s oder tu ich’s nicht?«, fragte ich mich und pflückte Seepocken von einem Schiffswrack.
Der Tag zog sich so dahin, bis ich es nicht mehr aushielt und zum Haus der Meerhexe schwamm. Nie hätte ich gedacht, dass es jemals so weit kommen könnte, dass ich sie freiwillig aufsuchen würde, dass ich mich eines Tages in die toten Jenseits-Gefilde hinauswagen würde. Schon als ich in die Nähe der Todeszone kam, sträubten sich mir alle Schuppen. Das Meer wurde immer einsamer, nur noch ein paar irre, abgemagerte Fische, die wie unter einem Bann immer im Kreis herumschwammen, und dann waren auch diese verschwunden und die einzigen Lebewesen, die mir noch begegneten, waren ein paar fahle, missgebildete Kreaturen, die sich sofort in den Skeletten der abgestorbenen Korallenwälder verbargen, wenn ich in ihre Nähe kam. Ich zwang mich dazu, weiterzuschwimmen und nach einer Unendlichkeit aus Angst und Erwartung erreichte ich schließlich das Haus der Meerhexe, das sich tief in das bleiche Korallenriff duckte. Von Weitem sah es aus wie ein riesiger Knochenhaufen. Offenbar hatte mich die Hexe schon lange gehört, denn sie lauerte bereits an der Tür auf mich.
»Na, endlich kommst du, Prinzessin, ich habe schon lange, sehr lange auf dich gewartet.« Ungeduldig glitt sie ins Innere des Hauses und ihr Umhang aus Quallenhäuten schwamm hinter ihr her wie ein durchsichtiger
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