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Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen

Titel: Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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Was bildete sich dieser Greis ein? Tausende hatten bei den verheerende V2-Einschlägen ihr Leben gelassen! Und nun das: ein Flop! Sie wollte aufbegehren, doch Gabriele hielt sie zurück.
    Koenigs Blick schweifte hinaus auf den Freihafen. Ein riesiges Containerschiff lief ein. Das dumpfe Dröhnen seines Signalhorns war sogar durch die Doppelverglasung des Büros zu hören. »Ja, ein Flop. Vielleicht nicht für Goebbels, diesen Verbrecher. Seiner Propaganda kamen die wenigen zufriedenstellenden V-Einsätze gerade recht. Er konnte sie zu militärischen Erfolgen aufblasen, konnte damit die Moral der Bevölkerung aufbessern. Naja.« Koenig verzog missbilligend das Gesicht. »Aber der militärische Nutzen war gleich Null. Die Angriffsergebnisse entsprachen nur zu Bruchteilen unseren Erwartungen.« Koenigs Stimme klang eiskalt. Nüchtern und sachlich setzte er fort. So, als hielte er vor Studenten eine wissenschaftliche Abhandlung. »Sie müssen sich das so vor Augen führen: Es waren jeweils nur punktuelle Bombardements machbar. Ein massiver Angriff von 5.000 Raketen, möglichst in rascher Folge hintereinander abgefeuert, hätte London spürbar verwunden können. Hätte! Die Betonung liegt auf dem Wörtchen ›hätte‹, meine Damen. Denn in Wahrheit hat es dazu nie gereicht.«
    Sina gewann den Eindruck, als hätte es Koenig tatsächlich bedauert und, dass es ihn noch heute ärgerte, dass damals – wegen der widrigen Umstände , die der Krieg nun mal mit sich brachte – seine Eitelkeiten als aufstrebender Ingenieur nicht vollends hatten befriedigt werden können.
    »Sicher«, meinte Koenig, »wir wären in der Lage gewesen, ausreichend Raketen zu fabrizieren, wenn der Führer genug Material und Geld bewilligt hätte. Aber spätestens am Treibstoff wäre ein effektives Fernbombardement gescheitert. Nein, nein. Die V2 war ein Fehlschlag.« Koenig sagte das, als müsste er sich gegenüber den Frauen dafür rechtfertigen, dass London nicht in Schutt und Asche gelegen hatte.
    Die Freundinnen blieben stumm. Sina, weil sie über die Gefühlskälte, mit der Koenig über eine Massenvernichtungswaffe sprach, entsetzt war. Gabriele, weil sie mochte, dass Koenig ohne Umschweife schnell zum Kern der Sache kam.
    Noch immer sah er aus dem Fenster. So, als suchte er Halt in den Vorkommnissen, die in der Ferne lagen. »Auch wirtschaftlich gesehen, konnten wir das V2-Programm nicht unbegrenzt aufrecht erhalten. Ein Exemplar hat uns 75.000 Reichsmark gekostet. Davon hätte man Unmengen an herkömmlichen Bomben finanzieren können. Sehen Sie: Eine V2 beförderte höchstens eine Tonne Sprengstoff. Ein Bomber, der etwa genauso viel kostete, konnte bei einem einzigen Flugeinsatz das Sechsfache an Sprengstoff abwerfen. Es war der reine Irrwitz: Wir haben innerhalb eines guten halben Jahres genau 1.115 V2-Raketen ins Zielgebiet geschossen. Ungefähr 570 davon direkt auf London. Aber insgesamt sind dabei gerade mal 2.750 Menschen zu Tode gekommen. Das ist lachhaft, wenn man bedenkt, dass die Briten und Amerikaner mit ihren Bombern in nur 14 Stunden das Leben von 135.000 Menschen in Dresden auslöschen konnten. Da haben wir vergleichsweise ganz schlecht abgeschnitten.«
    Sina kochte vor Wut. Noch ein solcher Satz, und sie würde Koenig an die Gurgel springen. Sie spürte, wie sich ihre Hände vor Zorn verkrampften.
    Koenig bemerkte von Sinas Gefühlswallungen offenbar nichts. Er schien gedanklich in der Vergangenheit zu weilen. Völlig unbedarft setzte er seinen makaberen Monolog fort: »Ja, ja. Die Kosten haben uns aufgefressen. Und dazu die ganze Arbeit! 13.000 Stunden für eine einzige V2. Das war die reinste Ressourcenvergeudung. Wenn wir nicht den Einsatz von Zwangsarbeitern …«
    »Zwangsarbeiter?« Sina unterbrach scharf.
    »Im Schacht Dora. Sie wissen doch: das Mittelwerk in Thüringen«, antwortete Koenig belehrend. Und als müsste dieses Wissen jedermann geläufig sein, erzählte er weiter: »Auch im Harz, genauer gesagt in Nordhausen und Bleicherode. Als uns die Engländer Peenemünde kaputt gebombt hatten, mussten wir doch irgendwo anders weiterarbeiten. Im Harz wurde eine neue Fabrik gebaut. Unterirdisch und absolut bombensicher.«
    »Zwangsarbeiter, Koenig. Sie sprachen eben von Zwangsarbeitern. Was hat das zu bedeuten?«, führte ihn Sina auf das gewünschte Thema zurück. Sie spürte, dass es Koenig unangenehm war, darüber zu sprechen.
    Er druckste herum: »Die Not, junge Frau. Versetzen Sie sich in unsere Lage. Peenemünde war

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