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Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Elizabeth
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Belohnung etwas Lebendiges hervor. Die Gartenarbeit sollte ihr Ventil werden. Ihr anstrengender Job war offensichtlich nicht anstrengend genug.
    Sie sah von dem Buch auf und betrachtete die beiden Männer in ihrem Wohnzimmer. Der Polizeibeamte aus Casvelyn hatte sich als Sergeant Paddy Collins vorgestellt, und sein Belfaster Akzent deutete darauf hin, dass er den irischen Namen zu Recht trug. Er saß kerzengerade auf einem der Küchenstühle, den er ins Wohnzimmer gebracht hatte, als hätte es ein Pflichtversäumnis dargestellt, sich in einem der bequemeren Sessel niederzulassen. Sein Notizbuch lag nach wie vor aufgeschlagen auf seinem Knie, und er betrachtete den anderen Mann so, wie er ihn vom ersten Moment an betrachtet hatte: mit unverhohlenem Misstrauen.
    Das konnte man ihm kaum verübeln, dachte Daidre. Der Wanderer war eine äußerst fragwürdige Erscheinung. Sein Auftauchen auf dem Küstenweg allein hätte das Misstrauen der Polizei nicht erweckt; es handelte sich schließlich um eine beliebte Wanderstrecke, jedenfalls bei gutem Wetter. Doch sein Äußeres und sein Geruch standen in keinem Verhältnis zu seiner Sprechweise. Er war offensichtlich gebildet und wahrscheinlich aus einer feinen Familie, und Paddy Collins hatte ungläubig die Augenbrauen gehoben, als der Mann behauptete, keine Ausweispapiere bei sich zu haben.
    »Was heißt das?«, hakte Collins nach. »Haben Sie keinen Führerschein, Mann? Kreditkarte? Gar nichts?«
    »Gar nichts«, beteuerte Thomas. »Es tut mir sehr leid.«
    »Sie könnten also Gott weiß wer sein, ja?«
    »Vermutlich, ja.« Thomas hörte sich an, als wünschte er, genau das wäre der Fall.
    »Und ich soll einfach glauben, was immer Sie von sich behaupten?«, setzte Collins nach.
    Thomas hatte die Frage offenbar als rhetorisch aufgefasst, denn er hatte nicht geantwortet. Der drohende Tonfall in Collins' Stimme schien ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken. Er war lediglich an das kleine Fenster getreten und hatte in Richtung Strand geblickt, wenngleich man den von hier aus nicht sah. Dort am Fenster war er dann geblieben, vollkommen reglos, und fast hätte man meinen können, er atmete nicht einmal.
    Daidre wollte ihn fragen, an welcher Art von Verletzung er litt. Als sie in ihrem Cottage über ihn gestolpert war, waren es nicht Blut auf Gesicht oder Kleidung oder sonst irgendwelche äußerlichen Anzeichen gewesen, die sie bewogen hatten, ihm ärztliche Hilfe anzubieten. Es war vielmehr der Ausdruck in seinen Augen gewesen. Er litt unermessliche Qualen – eine seelische Verletzung, keine körperliche. Das sah sie jetzt. Sie kannte die Anzeichen.
    Als Sergeant Collins sich rührte, aufstand und in Richtung Küche ging – vermutlich, um sich eine Tasse Tee zu machen, denn sie hatte ihm gezeigt, wo alles Notwendige stand –, ergriff Daidre die Gelegenheit, den Wanderer anzusprechen: »Wie kommt es, dass Sie allein und ohne Ausweispapiere hier unterwegs sind, Thomas?«
    Er wandte sich nicht vom Fenster ab und gab auch keine Antwort, doch sein Kopf bewegte sich ein klein wenig, was darauf hindeutete, dass er zuhörte.
    Sie fuhr fort: »Was, wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre? Es kommt immer wieder vor, dass Menschen von den Klippen stürzen. Sie machen einen falschen Schritt, rutschen aus …«
    »Ja«, erwiderte er. »Ich habe die Mahnmale gesehen.«
    Man fand sie überall entlang der Küste: manchmal nur in vergänglicher Form, wie etwa einem Strauß welker Blumen an der Stelle, wo sich ein tödlicher Sturz ereignet hatte, manchmal auch als Sitzbank mit einem passenden Spruch, dann wieder als etwas so Dauerhaftes wie ein Gedenkstein mit dem Namen des Verstorbenen. Ein jedes erinnerte an das Ende eines Surfers, Kletterers, Wanderers oder Selbstmörders. Es war unmöglich, den Küstenpfad entlangzuwandern und sie nicht zu sehen.
    »Da war ein sehr kunstvolles darunter«, fuhr Thomas ruhig fort, als wäre dies das vordringliche Thema, das sie mit ihm erörtern wollte. »Ein Tisch und eine Bank aus Granit. Granit ist übrigens die richtige Wahl, wenn das Gedenken gegen die Zeit bestehen soll.«
    »Sie haben mir nicht geantwortet«, bemerkte sie.
    »Ich war der Ansicht, das hätte ich gerade getan.«
    »Wenn Sie gestürzt wären …«
    »Das könnte immer noch passieren«, erwiderte er. »Wenn ich weiterziehe. Sobald das hier vorüber ist.«
    »Würden Sie nicht wollen, dass Ihre Angehörigen davon erfahren? Sie haben doch Angehörige, nehme ich an?« Sie fügte bewusst nicht

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