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Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Elizabeth
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zumindest habe ich dich nicht für jemanden gehalten, der in den Sachen anderer Leute herumschnüffelt.«
    Das hatte Selevan auf die Palme gebracht. Er war doch schließlich derjenige gewesen, der von ihr verraten worden war, oder etwa nicht? Sie hatte den Brief vor ihm versteckt, nicht andersherum. Wenn ihre Mutter aus Afrika anrief und sie über Tammy sprachen, dann verheimlichte er das ja auch nicht vor ihr, und sie verwendeten am Telefon auch keine Codewörter. Also war ihre Empörung völlig unangebracht.
    »Jetzt wirst du mir mal zuhören«, hatte er angehoben.
    »Das werde ich nicht«, hatte sie leise erwidert. »Nicht bis du mir auch zuhörst.«
    Und dabei war es geblieben, bis sie in Casvelyn die Autotür geöffnet hatte. Sie hatte ihm ihre Abschiedsworte entgegengeschleudert und war zum Laden hinübergestapft. Der Selevan von früher wäre ihr gefolgt. Keines seiner Kinder hatte je so mit ihm gesprochen, ohne umgehend den Riemen, den Gürtel oder seine Hand zu spüren. Aber das Problem war: Tammy war nicht sein Kind. Eine verletzte Generation stand zwischen ihnen, und sie wussten beide, wer die Wunden geschlagen hatte.
    Also hatte er sie gehen lassen und war nach Sea Dreams zurückgefahren, sein Herz bleischwer. Er hatte den Caravan geputzt und sich in der Hoffnung, sein Magen würde aufhören zu schlingern, wenn er ihn füllte, ein zweites Frühstück aus weißen Bohnen auf Toast zubereitet. Er hatte den Teller zum Tisch hinübergetragen und gegessen, aber nichts hatte das kranke Gefühl in ihm verdrängen können.
    Eine zuschlagende Autotür lenkte Selevan schließlich von seinem Kummer ab. Er blickte aus dem Fenster und sah, wie Jago Reeth gerade die Tür zu seinem Caravan aufschloss, als Madlyn Angarrack auf ihn zutrat. Jago stieg die Stufen wieder hinunter, streckte die Hände aus und nahm Madlyn in die Arme, tätschelte erst ihren Rücken, dann den Kopf. Madlyn trocknete sich an Jagos Flanellärmel die Tränen, und dann traten sie gemeinsam ins Innere des Caravans.
    Der Anblick versetzte Selevan einen schmerzhaften Stich. Er verstand einfach nicht, wie Jago Reeth schaffte, was ihm selbst so unmöglich zu sein schien. Jago war ein Mann, dem junge Leute sich anvertrauten. Offensichtlich hatte er eine bestimmte Art, Jugendlichen zuzuhören und auf sie einzugehen, die Selevan zu lernen versäumt hatte.
    Aber es war ja auch verdammt einfach, wenn es sich nicht um die eigenen Verwandten handelte. Hatte Jago das nicht selbst eingeräumt?
    Egal. Selevan wusste nur, dass sein Freund womöglich den Schlüssel zu der einen, zu der einzigen vernünftigen Unterhaltung zwischen ihm und seiner Enkelin in Händen hielt. Er musste herausfinden, was genau dieser Schlüssel war, und zwar noch ehe Tammys Mutter die Reißleine zog und Tammy weiß Gott wohin schickte, um sie zu kurieren.
    Er wartete, bis Madlyn Angarrack wieder gegangen war – genau dreiundvierzig endlose Minuten lang. Dann beeilte er sich, zu Jagos Caravan hinüberzukommen, und klopfte heftig an die Tür. Als Jago öffnete, erkannte Selevan mit einem Blick, dass sein Freund im Begriff war zu gehen. Er hatte bereits seine Jacke an, ein Stirnband, das ihm das lange Haar aus dem Gesicht hielt, und die zerbrochene Brille auf der Nase, die er sonst nur bei LiquidEarth trug. Selevan wollte sich schon entschuldigen, aber der andere Mann unterbrach ihn und bat ihn herein.
    »Du hast etwas auf dem Herzen«, bemerkte er. »Das sehe ich, ohne dass du es mir sagen musst. Lass mich nur eben …« Jago griff zum Telefon und tippte eine Nummer ein. Anscheinend erreichte er lediglich einen Anrufbeantworter, denn er sagte: »Lew, ich bin's. Ich komme ein bisschen später. Ich hab hier zu Hause so was wie einen Notfall. Madlyn ist übrigens vorbeigekommen. Sie war ein bisschen durcheinander, aber ich schätze, jetzt geht's wieder. Im Wärmeschrank steht ein Board, das du dir ansehen solltest, okay?« Und dann legte er auf.
    Selevan beobachtete seine Bewegungen. Die Parkinson-Symptome waren an diesem Morgen schlimmer als sonst. Entweder das, oder Jagos Medikamente wirkten noch nicht. Alt zu werden, war kein Spaß, das stand mal fest. Aber alt und krank zusammen – das war richtig übel.
    Schweigend zog er die seltsame Halskette hervor, die er Tammy tags zuvor abgeknöpft hatte. Er legte sie auf den Tisch, und als Jago sich neben ihn auf die Bank setzte, eröffnete er ihm: »Das hab ich bei ihr gefunden. Sie hatte es um den Hals. Das ›M‹ steht für Maria, sagt sie.

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