Doctor Sleep (German Edition)
Florida gekocht, das wusste er, aber an die Namen der Hotels erinnerte er sich nicht mehr. Er wusste nicht einmal mehr, ob sie an der Ost- oder an der Westküste gewesen waren. Wahrscheinlich sowohl als auch – ein Jahr in Naples, das nächste in Palm Beach, das übernächste in Sarasota oder Key West. Für einen Mann, der den Gästen, besonders denen mit Geld in der Tasche, den Gaumen kitzeln konnte, gab es immer Arbeit, und Dick hatte ein besonderes Händchen dafür gehabt. Ein großer Vorteil bei der Suche war wahrscheinlich die ungewöhnliche Schreibweise von Dicks Familiennamen – nicht Halloran, sondern Hallorann. Er tippte Richard Hallorann und Florida ins Suchfeld ein und klickte auf Suche . Es kamen massenhaft Ergebnisse, aber als sein Blick auf den dritten Eintrag von oben fiel, war er sich sicher, den richtigen gefunden zu haben, gleichzeitig entfuhr ihm ein leiser, enttäuschter Seufzer. Nach einem Klick auf den Link erschien ein Artikel aus dem Miami Herald . Kein Zweifel. Wenn das Alter und der Name in der Überschrift standen, wusste man genau, was man las.
Richard »Dick« Hallorann (81),
bekannter Küchenchef aus South Beach
Darunter war ein Foto abgebildet. Es war klein, aber dieses fröhliche, wissende Gesicht hätte Dan immer erkannt. Ob er wohl einsam gestorben war? Wahrscheinlich nicht. Dazu war Dick zu gesellig gewesen … und zu sehr ein Liebhaber weiblicher Begleitung. An seinem Totenbett hatten bestimmt genügend Leute gestanden, aber die beiden, die er in jenem Winter in Colorado gerettet hatte, waren nicht da gewesen. Wendy hatte eine triftige Entschuldigung; sie war ihm vorangegangen. Ihr Sohn jedoch …
Hatte er in irgendeiner miesen Kneipe gehockt, Whiskey gesoffen und in der Jukebox Trucker-Songs laufen lassen, als Dick hinübergegangen war? Oder hatte er die Nacht womöglich wegen Trunkenheit und ungebührlichem Benehmen im Knast verbracht?
Als Todesursache war ein Herzinfarkt angegeben. Dan scrollte nach oben, um das Datum zu suchen: 19. Januar 1999. Der Mann, der Dans Leben und das Leben von dessen Mutter gerettet hatte, war schon seit fast fünfzehn Jahren tot. Von ihm war keine Hilfe mehr zu erwarten.
Hinter sich hörte Dan das leise Quietschen von Kreide auf Schiefer. Einen Moment lang blieb er sitzen, sein kalt werdendes Essen und den Laptop vor sich. Dann drehte er sich langsam um.
Die Kreide lag immer noch auf der Ablage am unteren Rand der Tafel, aber trotzdem tauchte ein Bild auf. Es war unbeholfen gezeichnet, doch erkennbar. Es war ein Baseballhandschuh. Als das Bild fertig war, zeichnete Abras Kreide – unsichtbar, aber immer noch mit jenem leisen, quietschenden Geräusch – ein Fragezeichen in die Mitte des Handschuhs.
»Darüber muss ich nachdenken«, sagte er, aber bevor er das tun konnte, summte die Sprechanlage. Ein Auftrag für Doctor Sleep.
Kapitel neun
DIE STIMMEN UNSERER TOTEN FREUNDE
1
Mit ihren hundertundzwei Jahren war Eleanor Ouellette in jenem Herbst des Jahres 2013 die älteste Bewohnerin von Rivington House. Sie war so alt, dass ihr Familienname nie amerikanisiert worden war – sie sprach ihn nicht Uíllitt aus, sondern in seiner wesentlich eleganteren französischen Form: Uélétt. Dan nannte sie manchmal Miss Uh-la-la, was sie immer zum Lächeln brachte. Ron Stimson, einer der vier Ärzte, die regelmäßig Visite im Hospiz machten, hatte Dan einmal gesagt, Eleanor sei der Beweis dafür, dass das Leben manchmal stärker sei als das Sterben: »Ihre Leberfunktion ist gleich null, ihre Lunge ist nach achtzig Jahren rauchen völlig zerstört, sie hat Darmkrebs – der zwar im Schneckentempo fortschreitet, aber extrem bösartig ist –, und ihre Herzwände sind so dünn wie eine Seifenblase. Trotzdem lebt sie weiter.«
Wenn Azreel recht hatte (und nach Dans Erfahrung täuschte er sich nie), dann lief Eleanors Langzeitpacht aufs Leben nun bald aus, und doch sah sie nicht aus wie eine Frau, die auf der Schwelle stand. Als Dan in ihr Zimmer kam, saß sie aufrecht im Bett und streichelte den Kater. Ihr Haar war adrett in eine Dauerwelle gelegt – tags zuvor war die Friseuse da gewesen –, und ihr rosa Nachthemd war makellos wie immer. Dessen obere Hälfte verlieh ihren blutlosen Wangen auch etwas Farbe, während die untere sich wie ein Ballkleid um ihre spindeldürren Beine bauschte.
Dan hob die Hände seitlich ans Gesicht, spreizte die Finger und ließ sie wackeln. »Uh-la-la! Une belle femme! Je suis amoureux!«
Sie rollte mit den Augen,
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