Doctor Sleep (German Edition)
finde ich echt interessant.«
»Jedenfalls wohnte Momo damals in Manhattan, und als Alessandra im Juni zu Besuch kam, war sie schwanger.«
»Schwanger mit Mama?«
»Ganz recht, Abba-Doo.«
»Also wurde Mama unehelich geboren?«
Das klang völlig überrascht, vielleicht sogar ein winziges bisschen übertrieben. Dan, der sich in der eigenartigen Position befand, an dem Gespräch sowohl teilzunehmen wie es zu belauschen, erkannte etwas, was er gleichermaßen anrührend wie komisch fand: Abra wusste sehr gut, dass ihre Mutter ein außereheliches Kind war. Das hatte Lucy ihr schon vor einem Jahr erzählt. So merkwürdig es war, Abra nahm gerade Rücksicht auf die Ahnungslosigkeit ihres Vaters.
»So ist es, Schatz. Aber das ist kein Verbrechen. Manchmal ist man eben … wie soll ich sagen … ein bisschen durcheinander. Deshalb können an einem Familienstammbaum merkwürdige Äste wachsen, und es gibt keinen Grund, wieso du das nicht wissen solltest.«
»Oma Sandy ist einige Monate nach Mamas Geburt gestor ben, stimmt’s? Bei einem Autounfall?«
»Ja, das stimmt. An jenem Nachmittag hat Momo auf Lucy aufgepasst, und dann hat sie sie großgezogen. Das ist der Grund, weshalb sich die beiden so nahestehen und warum es so schwer für deine Mama ist, dass Momo alt und krank geworden ist.«
» Wer war denn der Mann, von dem Oma Sandy schwanger geworden ist? Hat sie das mal erzählt?«
»Gute Frage«, sagte Dave. »Aber wenn Alessandra es tatsächlich mal verraten hat, dann hat Momo es für sich behalten.« Er hob den Arm und deutete auf die schmale Straße, die durch den Wald führte. »Sieh mal, Schatz, gleich sind wir da!«
Sie kamen an einem Schild vorbei, das über die Entfernung bis zum Picknickplatz am Wolkentor informierte. Es waren noch zwei Meilen.
7
In Anniston machte Crows Stoßtrupp kurz halt, um den Winnebago aufzutanken, aber nicht in der Nähe vom Richland Court, sondern mindestens eine Meile davon entfernt am unteren Ende der Main Street. Während sie die Stadt wieder verließen – mit Snakebite Andi am Steuer und einem Epos mit dem Titel Studentinnen im Swinger-Paradies im DVD -Player –, rief Barry Jimmy Numbers an sein Bett.
»Ihr müsst jetzt Tempo machen«, sagte Barry. »Sie sind gleich da. Der Ort heißt Wolkentor. Hab ich euch das schon gesagt?«
»Ja, hast du.« Jimmy hätte Barry fast die Hand getätschelt, überlegte es sich jedoch anders.
»Dann haben sie bald ihr Picknick ausgepackt. In dem Moment solltet ihr zuschlagen – wenn sie sich hingesetzt haben und am Essen sind.«
»Das schaffen wir schon«, versprach Jimmy. »So rechtzeitig, dass wir der Kleinen genügend Steam abzapfen können, um dir zu helfen. Da kann Rose nichts dagegen haben.«
»Natürlich nicht«, sagte Barry. »Aber für mich ist es zu spät. Für euch möglicherweise noch nicht.«
» Wieso?«
»Schau dir mal deine Arme an.«
Das tat Jimmy und sah auf der zarten, weißen Haut an der Innenseite seiner Ellbogen die ersten Flecke aufblühen. Der rote Tod. Bei diesem Anblick bekam er einen trockenen Mund.
»O Gott, jetzt ist es vorbei«, stöhnte Barry, und plötzlich sanken seine Klamotten auf einen Körper, der nicht mehr da war. Jimmy sah ihn schlucken … und dann war seine Kehle verschwunden.
» Weg da«, sagte Nut. »Lass mich zu ihm.«
»So? Was willst du denn tun? Der ist erledigt.«
Jimmy ging nach vorn und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, den Crow geräumt hatte. »Nimm die Route 14-A, das ist die Umfahrung von Frazier«, sagte er. »Geht schneller, als mitten durch die Stadt zu gurken. Wir stoßen dann auf die Saco River Road …«
Andi tippte auf das Navi. »Hab ich alles schon einprogrammiert. Meinst du, ich bin blind oder bloß dämlich?«
Jimmy hörte sie kaum. Er wusste nur, dass er nicht sterben durfte. Er war zu jung zum Sterben, nicht zuletzt deshalb, weil in nächster Zeit unglaubliche Entwicklungen im Internet zu erwarten waren. Und die Vorstellung zu kreisen, die brutalen Schmerzen jedes Mal, wenn man zurückkam …
Nein. Nein. Auf gar keinen Fall. Unmöglich.
Das späte Nachmittagslicht fiel schräg durch die Windschutzscheibe des Winnebagos. Wunderschönes Herbstlicht. Der Herbst war Jimmys liebste Jahreszeit, und er hatte vor, noch am Leben zu sein und mit dem Wahren Knoten durchs Land zu reisen, wenn diese Jahreszeit das nächste Mal kam. Das übernächste Mal. Und das überübernächste. Glücklicherweise war er bei den richtigen Leuten, um das zu schaffen. Crow Daddy
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