Doctor Sleep (German Edition)
Seitenfenster und schlief augenblicklich ein. Er versank in einem immer tiefer werdenden Abgrund voll verstörender Bilder. Zuerst kamen die Heckentiere im Garten des Overlooks, die sich bewegten, wenn man nicht hinsah. Es folgte Mrs. Massey aus Zimmer 217, der nun ein Zylinder schräg auf dem Kopf saß. Noch tiefer sinkend, befand er sich wieder in der Schlacht am Wolkentor. Als er jedoch diesmal in den Winnebago stürmte, lag dort Abra mit aufgeschlitzter Kehle auf dem Boden. Über ihr stand Rose, ein tropfendes Rasiermesser in der Hand. Als sie Dan sah, verzog die untere Hälfe ihres Gesichts sich zu einem obszönen Grinsen, in dem ein einzelner langer Zahn glänzte. Ich hab ihr gesagt, dass es so endet, aber sie hat nicht zugehört, sagte sie. Leider tun Kinder das selten.
Darunter kam nur noch Dunkelheit.
Als er aufwachte, sah er eine Dämmerung, in deren Mitte eine durchbrochene weiße Linie leuchtete. Sie fuhren auf einer Interstate.
» Wie lange hab ich geschlafen?«
Billy warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Elf Stunden und ein paar Zerquetschte. Fühlst du dich besser?«
»Ja.« Das stimmte, aber nur teilweise. Sein Kopf war klar, aber er hatte grausame Bauchschmerzen. Angesichts dessen, was er morgens im Spiegel gesehen hatte, war das kein Wunder. » Wo sind wir?«
»Hundertfünfzig Meilen östlich von Cincinnati, jedenfalls ungefähr. Hab inzwischen zweimal getankt, aber du hast einfach weitergepennt. Außerdem schnarchst du.«
Dan setzte sich auf. » Wir sind schon in Ohio? Wahnsinn! Wie viel Uhr ist es?«
Billy sah noch einmal auf seine Uhr. » Viertel nach sechs. War nicht weiter schwierig, wenig Verkehr und kein Regen. Wenn Engel reisen …«
»Gut, aber jetzt suchen wir uns ein Motel. Du musst dich aufs Ohr legen, und ich muss pissen wie ein Stier.«
»Kein Wunder.«
An der nächsten Ausfahrt mit Schildern, die auf Tankstellen, Lokale und Motels hinwiesen, verließ Billy die Schnellstraße. Er hielt bei Wendy’s und besorgte zwei Hamburger und etwas zu trinken, während Dan die Toilette aufsuchte. Als sie wieder im Wagen saßen, biss Dan in seinen Burger, steckte ihn wieder in die Tüte und nippte vorsichtig an seinem Kaffee-Milchshake. Den schien sein Magen zu akzeptieren.
Billy sah ihn geschockt an. »Mann, du musst was essen! Was ist denn los mit dir?«
»Ich glaube, Pizza zum Frühstück war keine gute Idee.« Weil Billy ihn immer noch ansah, fügte er hinzu: »Der Milchshake ist okay. Mehr brauche ich gar nicht. Schau auf die Straße, Billy. Wenn wir auf der Intensivstation landen, sind wir für Abra keine Hilfe mehr.«
Fünf Minuten später parkte Billy seinen Pick-up unter dem Vordach eines Fairfield Inn, über dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift ZIMMER FREI blinkte. Er stellte den Motor ab, stieg jedoch nicht aus. »Da ich mein Leben mit dir aufs Spiel setze, Junge, will ich wissen, was mit dir los ist.«
Fast hätte Dan darauf hingewiesen, dass Billy selber auf die Idee gekommen war, sein Leben aufs Spiel zu setzen, aber das wäre unfair gewesen. Daher erklärte er es. Billy lauschte schweigend und mit großen Augen.
»Ich glaub, mich tritt ein Pferd«, sagte er, als Dan fertig war.
»Hier in Ohio ist das nicht ganz unwahrscheinlich«, sagte Dan. »Na, gehst du zur Rezeption, oder soll ich das machen?«
Billy blieb an Ort und Stelle sitzen. » Weiß Abra darüber Bescheid?«
Dan schüttelte den Kopf.
»Aber sie könnte es herausbekommen.«
»Ja, aber das tut sie nicht. Sie weiß, dass es falsch ist, ungefragt in jemand hineinzuschauen, besonders wenn es sich um jemand handelt, der einem wichtig ist. Genauso wenig würde sie ihren Eltern nachspionieren, wenn die miteinander im Bett liegen.«
»Hast du das als Kind auch so gehalten?«
»Ja. Manchmal sieht man automatisch ein bisschen – das kann man nicht vermeiden –, aber dann wendet man sich eben davon ab.«
»Und was wird jetzt mit dir geschehen, Danny?«
»Ich halte durch.« Er dachte an die Fliegen, die ihm träge über Lippen, Wangen und Stirn gekrochen waren. »Lange genug.«
»Und dann?«
»Darüber mache ich mir später Sorgen. Eins nach dem anderen. Gehen wir schlafen. Wir müssen früh weiter.«
»Hast du was von Abra gehört?«
Dan lächelte. »Der geht es gut.«
Bisher zumindest.
5
Aber es ging ihr nicht gut, nicht richtig.
Abra saß an ihrem Schreibtisch, ein zur Hälfte gelesenes Buch – Der Fixer – in der Hand, und versuchte, den Blick nicht zum Fenster wandern zu lassen, damit
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