Doctor Sleep (German Edition)
hatte, wurde in ihrem Kopf ständig weiter abgespielt, wie bei einem Grammophon, wenn die Nadel in einer schadhaften Rille hängen blieb.
Feige. Feige. Feige.
4
Abra legte den Telefonhörer behutsam wieder auf die Gabel. Dann sah sie ihn an; sie streichelte sogar seine glatte Kunsts toffoberfläche, die warm von ihrer Hand und feucht von ihrem Schweiß war. Bevor sie wusste, was mit ihr geschah, brach sie in ein lautes, bellendes Schluchzen aus. Es stürmte durch sie hindurch, ver krampfte ihren Magen und schüttelte ihren Körper. Weinend lief sie ins Badezimmer, kniete sich vor die Toilette und übergab sich.
Als sie wieder herauskam, stand Mr. Freeman in der Verbindungstür. Das Hemd hing ihm aus der Hose, seine grauen Haare standen in wirren Korkenzieherlocken vom Kopf ab. » Was ist denn los? Ist dir von dem Zeug, das er uns gespritzt hat, schlecht geworden?«
»Nein, das war es nicht.«
Er trat zum Fenster und spähte in den dichten Nebel hinaus. »Sind es die? Kommen die etwa hierher?«
Vorübergehend unfähig zu sprechen, konnte sie nur den Kopf schütteln. Das tat sie so heftig, dass ihre Zöpfe flogen. Die kamen nicht hierher, sie selber würde zu ihnen gehen, und das machte ihr furchtbar Angst.
Nicht nur um sich selbst.
5
Rose saß reglos da und zwang sich zu tiefen Atemzügen, um sich zu beruhigen. Als sie sich wieder in der Gewalt hatte, rief sie Long Paul herbei. Nach wenigen Augenblicken steckte der vorsichtig den Kopf durch die Schwingtür, die in die Küche führte. Beim Anblick seines Gesichtsausdrucks musste sie unwillkürlich lächeln. »Keine Angst, du kannst reinkommen. Ich beiße dich schon nicht.«
Als er sich näherte, sah er den verschütteten Kaffee. »Moment, das wische ich gleich auf«, sagte er.
» Vergiss es. Wer ist der beste Finder, den wir noch haben?«
»Du, Rose.« Ohne zu zögern.
Rose hatte nicht die Absicht, sich dem kleinen Aas mental zu nähern, nicht einmal in der äußersten Not. »Außer mir.«
»Tja … da Grampa Flick hinüber ist … und Barry auch …« Er dachte nach. »Sue hat gewisse Fähigkeiten, Greedy G ebenfalls. Aber ich glaube, Token Charlie ist noch besser geeignet.«
»Ist der krank?«
»Gestern war er es noch nicht.«
»Schick ihn zu mir. Während ich auf ihn warte, werde ich den Kaffee aufwischen. Denn – das ist wichtig, Paulie – wer was verbockt, sollte es selber wieder in Ordnung bringen.«
Nachdem er gegangen war, blieb Rose noch eine Weile sitzen, die Hände unter dem Kinn verschränkt. Sie konnte wieder klar denken, und damit verbunden war auch die Fähigkeit zu planen. Wie’s aussah, würden die Wahren heute doch keinen Steam nehmen. Das konnte bis Montagmorgen warten.
Nach einer Weile ging sie in die Küche, um sich ein paar Papierhandtücher zu besorgen. Dann wischte sie die Schweinerei auf, die sie gemacht hatte.
6
»Dan!« Diesmal war es John. » Wir müssen los!«
»Komme gleich«, sagte er. »Ich will mir bloß noch das Gesicht waschen.«
Während er durch den Flur ging, lauschte er Abra und nickte leicht mit dem Kopf, als wäre sie tatsächlich da.
(Mr. Freeman will wissen wieso ich geweint hab und wieso ich gekotzt hab was soll ich ihm)
(vorläufig bloß dass er mir seinen Pick-up leihen soll wenn wir bei euch sind)
(weil wir nach Westen fahren werden)
(… tja …)
Es war kompliziert, aber sie begriff. Das Ganze musste nicht in Worte gefasst werden.
Neben dem Waschbecken stand ein Regal mit mehreren Zahnbürsten, die meisten noch eingepackt. Auf dem Griff der kleinsten – nicht eingepackten – stand in bunten Lettern ABRA . An einer Wand hing ein kleines Schild mit der Aufschrift EIN LEBEN OHNE LIEBE IST WIE EIN BAUM OHNE FRÜCHTE . Er betrachtete es einige Sekunden und überlegte, ob es im AA -Programm wohl etwas Ähnliches gab. Das Einzige, was ihm einfiel, war Wenn du heute niemand lieben kannst, versuch wenigstens, niemand zu verletzen. Aber das ließ sich eigentlich nicht vergleichen.
Er drehte das kalte Wasser auf und klatschte sich mit beiden Händen mehrere Ladungen ins Gesicht. Dann drehte er den Hahn zu, griff nach einem Handtuch und hob den Kopf. Diesmal war keine Lucy mit ihm im Rahmen; da war nur Dan Torrance, der Sohn von Jack und Wendy, der immer gedacht hatte, er wäre ein Einzelkind.
Sein Gesicht war mit Fliegen bedeckt.
Teil vier
DAS DACH DER WELT
Kapitel achtzehn
NACH WESTEN
1
An die Fahrt von Boston zum Motel Crown erinnerte Dan sich später nicht mehr besonders gut, weil die
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