Doctor Sleep (German Edition)
Typen einfach den Drang, einem in den Rücken zu fallen und den Fuß auf den Nacken zu setzen, statt einem aufzuhelfen. Das war zwar erbärmlich, aber das galt für viele Aspekte der menschlichen Natur. Und wenn man mit dem minderwertigen Teil der Meute durch die Gegend zog, sah man eben hauptsächlich Pfoten, Klauen und Arschlöcher.
»Und fragen Sie Billy, ob er Stiefel findet, die Ihnen passen. Im Werkzeugschuppen hat er etwa ein Dutzend Paare gehortet. Als ich das letzte Mal reingeschaut hab, haben allerdings nur die Hälfte von denen zusammengepasst.«
Der Tag war sonnig, die Luft mild. Dan, der in Jeans und einem T-Shirt mit dem Logo der Utica Blue Sox arbeitete, blickte in den fast wolkenlosen Himmel und dann wieder auf Casey Kingsley.
»Ja, ich weiß, wonach es aussieht, aber wir sind hier in den Bergen, junger Mann. Der Wetterbericht behauptet, es kommt bald Nordostwind und bringt womöglich dreißig Zentimeter Schnee. Lang wird der zwar nicht liegen bleiben – hier in New Hampshire nennt man den Aprilschnee den Dünger des armen Mannes –, aber außerdem wird es ganz schön stürmisch. Sagt jedenfalls der Wetterbericht. Ich hoffe, Sie können mit einer Schneefräse genauso gut umgehen wie mit einem Laubbläser.« Er hielt kurz inne. »Außerdem hoffe ich, dass Sie keine Rückenprobleme haben. Morgen werden Sie und Billy nämlich massenhaft abgebrochene Äste einsammeln. Vielleicht müssen Sie auch ein paar umgestürzte Bäume zersägen. Kennen Sie sich mit Kettensägen aus?«
»Ja, Sir«, sagte Dan.
»Gut.«
8
Dan und Mrs. Robertson verstanden sich gut. Sie bot ihm in der Gemeinschaftsküche sogar ein Sandwich mit Eiersalat und eine Tasse Kaffee an. Er nahm dankend an und machte sich auf die üblichen Fragen gefasst, was ihn nach Frazier geführt habe und wo er vorher gewesen sei. Erfreulicherweise kamen keine. Stattdessen fragte Mrs. Robertson ihn, ob er Zeit habe, ihr beim Schließen der Fensterläden im Erdgeschoss zu helfen, damit die Fenster geschützt seien, falls die Stadt wirklich eine Mütze Wind abbekomme, wie sie es nannte. Dan war gern dazu bereit. Es gab zwar nur wenige Devisen, nach denen er lebte, aber eine davon lautete, dass es immer nützlich war, sich mit der Hauseigentümerin gut zu stellen. Schließlich wusste man nie, wann man sie um eine Stundung der Miete bitten musste.
Als Dan in den Park zurückkam, erwartete Billy ihn mit einer ganzen Arbeitsliste. Tags zuvor hatten sie gemeinsam von allen Kinderkarussells die Abdeckplanen entfernt. Nun brachten sie diese wieder an und schlossen die Läden sämtlicher Buden und Stände. Die letzte Aufgabe des Tages bestand darin, die Riv rückwärts in ihren Schuppen zu fahren. Dann stellten sie neben dem Bahnhof von Teenytown Klappstühle auf und ließen sich nieder, um eine zu rauchen.
»Ich will dir mal was sagen, Danno«, sagte Billy. »Ich bin hundemüde.«
»Da bist du nicht der Einzige.« Dennoch fühlte Dan sich gut; seine Muskeln waren locker und kribbelten. Er hatte vergessen, wie gut es tat, im Freien zu arbeiten, wenn man dabei keinen Kater loswerden musste.
Der Himmel hatte sich zugezogen. Billy hob den Blick und seufzte. »Hoffentlich stürmt und schneit es nicht so stark, wie sie im Radio sagen. Aber wahrscheinlich tut’s das doch. Übrigens hab ich Stiefel für dich gefunden. Toll sehen sie nicht aus, aber wenigstens haben beide die gleiche Größe.«
Dan nahm die Stiefel mit, als er durch die Stadt zu seiner neuen Bleibe ging. Inzwischen hatte der Wind aufgefrischt, und es wurde dunkel. Am Morgen hatte es sich angefühlt, als sollte es in Frazier bald Sommer werden. Nun, am Abend, schnitt die Feuchtigkeit des heranziehenden Schnees in die Haut. Die Nebenstraßen waren verlassen, die Fensterläden geschlossen.
Dan bog aus der Morehead Street in die Eliot ein und blieb stehen. Begleitet vom knochigen Rasseln trockener Herbstblätter rollte ein alter, ramponierter Zylinder den Gehweg entlang, ein Ding, wie Zauberer es trugen. Oder Schauspieler in einem alten Musical, dachte er. Bei diesem Anblick spürte er Kälte in seine Knochen kriechen, denn der Zylinder war gar nicht vorhanden. Nicht tatsächlich jedenfalls.
Er schloss die Augen und zählte langsam bis fünf, während der anschwellende Wind seine Hose um die Schienbeine flattern ließ, dann machte er die Augen wieder auf. Die Blätter waren noch da, aber der Zylinder war verschwunden. Wieder einmal hatte sein Shining eine dieser lebhaften, beunruhigenden und
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