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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
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Tradition vor. Heiraten war und ist alles andere als kostengünstig in der Türkei.
    Irgendwann stand mein Vater mit seiner Familie vor der Tür, um die Braut auszulösen. Im Türkischen nennt man diese Tradition «Yüz görümlügü» – «der Zoll, den man zahlen muss, um das Gesicht der Braut zu sehen». In diesem Fall war nur die Brautmutter symbolisch zu bezahlen, weil es keinen Brautvater gab. Bevor der Bräutigam das Haus betrat, legteeiner meiner Onkel meiner Mutter das rote Seidenband um, das dreimal um die Taille gewickelt wird. Dieser alte Brauch soll dafür sorgen, dass die Braut mit ihrer Familie, ihrer Religion und ihrem neuen Zuhause verbunden bleibt. Meine Mutter stand im Wohnzimmer, das die Familie ihres zukünftigen Mannes jedoch nicht betreten durfte, weil ihr ein rotes Band am Türrahmen den Weg versperrte. Mein Onkel sollte dieses Band durchschneiden und meinen Vater hindurchlassen.
    Er legte die Schere an und rief mehrmals: «Sie ist stumpf und schneidet nicht.» Anschließend wurde ein Geldschein herübergereicht. Dann legte mein Onkel erneut die Schere an und rief: «Oh, sie schneidet wieder nicht.» Es folgte ein zweiter Geldschein aus der Hosentasche meines Vaters. So ging es noch ein drittes Mal, bis mein Onkel nachgab und das Band endlich durchschnitt. Nun konnte mein Vater seine Braut zum dekorierten Auto bringen.
    Die Hochzeitsgesellschaft machte sich mit allen verfügbaren Autos auf den Weg. Vorneweg fuhr das Brautpaar mit einer als Braut verkleideten Puppe auf der Kühlerhaube. Der Corso bewegte sich lärmend und langsam zum Festsaal. Der Brauch will es, dass Kinder immer wieder vor das Auto des Brautpaars springen und es stoppen. Daraufhin wirft ihnen der Bräutigam Geld zu und hebt damit die Absperrung auf, sodass die Kolonne weiterfahren kann.
    Nach knapp zwei Stunden erreichte die Hochzeitsgesellschaft endlich die Halle, in der die Feier stattfinden sollte. Braut und Bräutigam wurden in den Saal geführt. Immer wieder mussten sie einen Stopp einlegen, weil Fotos gemacht werden sollten. Zu dem Fest kamen etwa 100 Personen. Wenn ich mir heute die Fotos meiner Eltern bei der Hochzeitsfeier ansehe, dann wirken sie eher schüchtern und angespannt. Es gibt kaum Fotos, auf denen sie lächeln. Niemals entsteht der Eindruck, als sei diese Hochzeit der schönste Tag in ihremLeben – ein Anspruch, den zumindest viele Menschen im christlichen Kulturkreis mit diesem Tag verbinden.
    Mehr als ein Drittel der Hochzeitsgesellschaft bestand aus Verwandten und Bekannten. Die restlichen Gäste hatten Freunde und Nachbarn und deren Freunde mitgebracht. Wer z. B. als Nachbar eine Einladung auf eine türkische Hochzeit bekommt, bringt häufig auch seine Eltern und/oder Freunde mit. Diese wiederum bringen auch Freunde oder Familienmitglieder mit. In der Folge kennt das Brautpaar bei weitem nicht alle Gäste, die sich auf der Feier tummeln. Zunächst strömten alle Gäste herbei, um zu gratulieren. Meine Mutter küsste die Hand meiner Tante und legte sie dann an die Stirn – eine ritualisierte Geste des Respekts. An diesem Tag wurden viele Wangen und Hände geküsst.
    Auf einem Beistelltisch neben dem Brauttisch thronte die mehrstöckige Hochzeitstorte. Eine bestellte türkische Kapelle hämmerte auf ihre Instrumente ein und sang in Begleitung eines Sängers türkische Schnulzen von Orhan Gencebay und Seki Müren. Die Hochzeitsgesellschaft war so groß, dass meine Eltern selbst keinen Stuhl zum Sitzen hatten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als mehrere Stunden durchzutanzen. Setzen konnten sie sich nur, wenn ein Stuhl durch ein tanzendes Paar frei wurde. Beim Tanzen waren sie umgeben von Mädchen und jungen Paaren, die ausgelassen feierten. Wenn ich die Hochzeitsbilder gemeinsam mit meinen Eltern ansehe und nach Namen von Personen auf den Bildern frage, bekomme ich oft widersprüchliche Antworten. Wenn mein Vater felsenfest davon überzeugt ist, auf dem Bild sei Frau X zu sehen, widerspricht meine Mutter vehement und meint, das sei doch die Tochter von Frau Y. Ich vermute, sie wissen es selbst nicht – entweder, weil sie es vergessen haben oder weil ihnen diese Gäste ohnehin nicht bekannt waren.
    Das Essen wurde auf Teller gepackt. Es gab in Salzlakeeingelegte Gurken, grüne Tomaten, Kohlblätter und ein halbes Hähnchen. Dazu trank man Cola, Fanta und das türkische Nationalgetränk Gasoz, das ein wenig nach Kaugummi schmeckt. Nach dem Essen folgte ein weiteres Ritual: Der Sänger der Band bat

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