Doktor auf Abwegen
Hörweite eines Patienten niemals eine unbedachte Bemerkung fallenzulassen.»
«Freddie hat eine wunderbare Art, mit Kranken umzugehen», sagte Dawn liebevoll.
Sir Lancelot riß die Augen auf.
«Freddie, du bist großartig zu Patienten», sagte Eva rasch und gab ihm einen Kuß.
«Ach ja!» rief Dawn. «Und auch du, Pip.» Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und küßte ihn so lange, daß Sir Lancelot bereits hin und her zu wetzen begann.
«Nett, unter jungen Ehepaaren eine solche Zuneigung beobachten zu können», sagte er mürrisch. «Wo ihr noch dazu schon seit vier Jahren verheiratet seid. Ich freue mich, daß Sie noch immer das Abzeichen St.-Swithins tragen, meine Liebe.»
«Ich hab sie’s noch nie tragen sehen», meldete sich Freddie zu Wort. «Will sagen, Pip hat sie’s noch nie tragen sehen. Noch eine Dosis Malzwhisky, Sir?»
Es schellte an der Eingangstür.
«Großer Gott!» rief Pip. «Ich hatte Tantchen Florrie ganz vergessen.»
Wie ein Schlafwandler schritt er ins Vorzimmer.
9
«Liebster Pip, wie reizend, dich wiederzusehen.»
Die Oberin betrat die Wohndiele in einem türkisblauen Abendkleid. «Und wie blendend du aussiehst! Ich machte mir schon große Sorgen, daß du Hakenwürmer oder Bilharzia oder sonst eine dieser scheußlichen Tropenkrankheiten kriegen könntest. Aber warum mußtest du zu dieser Stunde an einem Juni-Abend in England just so aussehen, als ob du jeden Augenblick auf Elefantenjagd gehen wolltest?»
Sie deutete auf seinen Safarianzug. Pip riß den Mund auf.
«Pip! Ist das alles, was du deinem Tantchen zuliebe tun kannst? In den Anblick deiner Rachenmandeln will ich mich kaum vertiefen.»
«Oh, verzeih.» Er küßte sie. «Ich habe mich von meinen Gefühlen hinreißen lassen.»
Sie tätschelte ihm die Wange. «So ist’s schon besser. Wie nett zu wissen, daß du noch immer dein Tantchen liebhast. Guten Abend, Lancelot.» Der Chirurg war höflich aufgestanden. «Tut mir leid, daß ich zu spät komme, aber die Küchenräume des Heiligen Grabes stehen unter Wasser. Die Patienten müssen sich mit Kakao und Brötchen begnügen, sind aber zum Glück nicht schlimmer dran als sonst, weil das Küchenpersonal seit einer Woche streikt. Eva...» Die Oberin ergriff herzlich ihre beiden Hände. «Wie prächtig du aussiehst! Geradezu glänzend. Als ich seinerzeit mit meinem Mann die Tropen bereiste, stellte ich fest, daß bei soundso vielen Engländerinnen der Teint bei starkem Sonnenlicht einfach kaputtging. Ihre Gesichter sahen wie zerfurchte, ausgetrocknete Flußbetten aus. Du bist dem glücklicherweise entgangen.»
«Wir haben bisher einen recht guten Sommer gehabt», bemerkte Sir Lancelot stirnrunzelnd. «Aber so gut war er wieder auch nicht.»
«Und Sie sind wohl Freddie Bisham?» Die Oberin streckte ihm ihre Hand entgegen. «Sie haben das Heilige-Grab-Hospital verlassen, bevor ich kam. Aber ich hörte natürlich sehr viel von Ihnen. Sie sind ja einer unserer besten jungen Chirurgen. Und zudem einer der beliebtesten bei Patienten und Personal.» Sie lächelte zurückhaltend. «Vor allem, wie ich höre, bei meinen Schwestern. Aber Sie, Dawn, waren keine Schwester, sondern Physiotherapeutin?» Auch ihr tätschelte sie die Wange. «Sind Sie’s noch immer? Fein! Ich bin allerdings der festen Meinung,daß nicht die Karriere, sondern die Ehe der beste Zeitvertreib für Frauen ist.»
«Wie immer einen trockenen Sherry, Tantchen?» unterbrach Pip.
«Ja, danke.»
«Kannten Sie Mrs. Bisham bereits von früher?» fragte Sir Lancelot.
Die Oberin schüttelte den Kopf. «Nein. Ich kenne Sie erst seit heute abend.»
Er strich sich den Bart. «Gibt’s da einen Unrat zu verbergen, mit dem mein Geruchsnerv verschont werden soll?»
«Warum machen Sie nicht mit der Oberin eine Runde durch den Garten, Sir?» schlug Freddie vor. «Es ist ein so herrlicher Abend.»
«Ja, das wollen wir, gleich jetzt», willigte die Oberin ein und griff nach ihrem Glas. «Es gibt da etwas, das ich mit Ihnen besprechen möchte, Lancelot, bevor wir zu feiern beginnen.»
Sie zog ihn auf den noch von der Abendsonne beschienenen Rasen hinaus, der von in allen Farben funkelnden Tropfen aus dem Sprenger betaut wurde.
«Wie erfreulich, daß Pip eine so passende Gefährtin gefunden hat», sagte sie. Sir Lancelot knurrte. «Auch der junge Bisham und seine Frau geben ein hübsches Paar ab.» Sir Lancelot knurrte von neuem. «Wie traurig aber steht’s um das Heilige Grab! Ich hörte die
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