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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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in seiner Verhinderung immer einen im Grunde {246} willkommenen Vorwand, mit dem er sich selbst über den Mangel eines genuinen und durchschlagenden Schaffensimpulses täuschte.
    Bei alldem darf man ihn sich nicht griesgrämlich denken; im Gegenteil war er sehr lustig, ja albern, begabt mit einem ausgesprochen angelsächsischen Sinn für Humor und von Charakter ganz das, was die Engländer »boyish« nennen, – sofort war er immer mit allen Söhnen Albions bekannt, die als Touristen, Kontinental-Bummler, Musikbeflissene nach Leipzig kamen, redete in vollkommener, wahlverwandtschaftlicher Anpassung ihre Sprache mit ihnen, talking nonsense nach Lust und Liebe, und wußte sehr komisch ihre eigenen Versuche im Deutschen nachzuahmen, ihren Akzent, ihr allzu korrektes Verfehlen des umgangssprachlichen Ausdrucks, ihre Ausländer-Schwäche für das sehr schriftliche Pronomen »jener, jenes«, wie sie also sagten: »Besichtigen Sie jenes!«, wenn sie nur sagen wollten: »Sehen Sie das da!« Auch sah er geradeso aus, wie sie – ich habe noch gar nicht von seiner Erscheinung gesprochen. Sie war sehr gut und ungeachtet der ärmlichen, immer gleichen Kleidung, zu der seine Verhältnisse ihn nötigten, elegant und sportlich herrenhaft. Er war von markanten Gesichtszügen, deren geradezu edler Charakter nur durch eine etwas zerrissene und zugleich weichliche Mundbildung, wie ich sie bei Schlesiern öfters beobachtet habe, leicht beeinträchtigt wurde. Hochgewachsen, breitschultrig, schmalhüftig, langbeinig, trug er tagein, tagaus dieselben schon recht mitgenommenen gewürfelten breeches, wollene Langstrümpfe, derbe gelbe Schuhe, ein Hemd aus grobem Leinen, dessen Kragen offen stand, und darüber irgend eine Jacke von schon unbestimmt gewordener Farbe und mit zu kurzen Ärmeln. Die Hände aber waren vornehm langfingrig, mit schön geformten, ovalen, gewölbten Nägeln, und so unverleugbar gentlemanlike war das Gesamtbild, das er bot, daß er es wagen konnte, in seinem {247} salonwidrigen Alltagsaufzuge Gesellschaften zu besuchen, bei denen Abenddreß herrschend war, – den Frauen gefiel er immer noch besser, wie er da war, als seine Nebenbuhler in korrektem Schwarz und Weiß, und man sah ihn bei solchen Empfängen umringt von unverhohlen bewundernder Weiblichkeit.
    Und doch! Und wiederum! Konnte seine dürftige, durch banalen Geldmangel entschuldigte Hülle seinem Kavalierstum nichts anhaben, das als die natürliche Wahrheit hindurchschien und sich gegen sie durchsetzte, so war wieder diese Wahrheit zum Teil eine Täuschung, und in diesem komplizierten Sinn war Schildknapp ein Blender. Die Sportlichkeit seiner Erscheinung war irreführend, denn er trieb gar keinen Sport, ausgenommen ein wenig Skilauf mit seinen Engländern zur Winterzeit in der »Sächsischen Schweiz«, wobei er sich aber leicht Darmkatarrhe zuzog, die meiner Meinung nach nicht ganz harmlos waren; denn trotz seiner braunen Gesichtsfarbe, seinen breiten Schultern stand seine Gesundheit nicht auf den festesten Füßen, und als noch jüngerer Mensch hatte er eine Lungenblutung gehabt, neigte also zur Tuberkulose. Seinem Glück bei Frauen entsprach meiner Beobachtung nach nicht ganz das Glück, dessen sie sich bei ihm erfreuten, – wenigstens individuell; denn in ihrer Gesamtheit genossen sie seine ganze Verehrung, eine vagierende, umfassende Verehrung, die so sehr dem Geschlecht als solchem, den Glücksmöglichkeiten der ganzen Welt galt, daß der Einzelfall ihn unaktiv, sparsam, zurückhaltend fand. Daß er so viel Liebesabenteuer hätte haben können, wie er wollte, schien ihm zu genügen, und es war, als scheute er vor jeder Bindung ans Wirkliche zurück, weil er einen Raub am Potentiellen darin sah. Das Potentielle war seine Domäne, der unendliche Raum des Möglichen sein Königreich, – darin und soweit war er wirklich ein Dichter. Aus seinem Namen schloß er, daß seine Vorfahren reisige Begleiter von Rittern und Fürsten gewesen waren, und obgleich er nie auf {248} einem Pferd gesessen hatte, auch gar nicht nach der Gelegenheit trachtete, eines zu besteigen, fühlte er sich zum Reiter geboren. Er schrieb es atavistischer Erinnerung, einem Blutserbe zu, daß er sehr oft vom Reiten träumte, und machte uns ungemein überzeugend vor, wie natürlich es ihm war, mit der Linken den Zügel zu halten und mit der Rechten dem Gaule den Hals zu klopfen. Die häufigste Redensart in seinem Munde war das Wort »Man sollte«. Es war die Formel für ein wehmütiges

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