Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Wagners hinstrebe und ihr Ziel darin finde.
    »
Ein
Ziel«, sagte ich, indem ich auf Brahms hinwies und auf das, was an absoluter Musik in dem »Lichte auf seinem Rücken« herangekommen sei, und er willigte in die Einschränkung umso leichter, als das, was er von weitem vorhatte, so unwagnerisch wie möglich, der Natur-Dämonie und dem mythischen Pathos am allerfernsten war: eine Erneuerung der opera buffa im Geist künstlichster Persiflage und der Persiflage der Künstlichkeit, etwas von hoch-spielerischer Preziosität, die Verspottung affektierter Askese und jenes Euphuismus, der die gesellschaftliche Frucht der klassischen Studien war. Er sprach mir mit Begeisterung von dem Gegenstand, der Gelegenheit bot, das Naturwüchsig-Tölpelhafte neben das Komisch-Sublime zu stellen und eines im anderen lächerlich zu machen. Archaisches Heldentum, die rodomontierende Etikette ragte aus verstorbener Epoche hinein in der Person des Don Armado, den er mit Recht für eine vollendete Opernfigur erklärte. Und er zitierte mir, auf englisch, Verse des Stückes, die er offenbar tief ins Herz geschlossen hatte: Die Verzweiflung des witzigen Biron über seine eidbrüchige Verliebtheit in die mit den Pechkugeln statt der Augen im Kopf; sein Ächzen- und Beten-müssen um Eine, die »bei Gott, das Ding will tun, wär' Argus auch ihr Wächter und Eunuch«. Dann die Verurteilung eben dieses Biron dazu, ein Jahr seinen Zungenwitz am Lager stöhnender Kranker zu üben, und seinen Ausruf: »Es kann nicht sein! Scherz rührt die Seele nicht in Todespein.« »Mirth cannot move a soul in ago {240} ny«, wiederholte er und erklärte, das eines Tages unbedingt komponieren zu wollen, – dies und das unvergleichliche Gespräch im fünften Akt über die Narrheit des Weisen, über den hilflosen, verblendeten und entwürdigenden Mißbrauch des Geistes, die Narrenkappe der Leidenschaft damit zu schmücken. Solche Aussprüche, meinte er, wie die beiden Verse, die besagen, daß kein Jugendblut so töricht ausschweifend entbrenne, wie der von Torheit befallene Ernst, »as gravity's revolt to wantonness«, gediehen nur auf den Geniehöhen der Dichtung.
    Ich war glücklich über seine Bewunderung, seine Liebe, obgleich mir die Stoffwahl nicht einmal behagte und ich immer etwas unglücklich war über eine Verspottung von Auswüchsen des Humanismus, die doch schließlich auch die Sache selbst ins Lächerliche zieht. Das hat mich später nicht gehindert, ihm das Libretto einzurichten. Was ich ihm aber gleich mit aller Macht auszureden suchte, war sein sonderbares und gänzlich unpraktisches Vorhaben, die Komödie auf englisch zu komponieren, weil er das als das einzig Richtige, Würdige, Authentische empfand, auch weil es ihm um der Wortspiele und des alten englischen Volksverses, des Doggerel-Reimes willen geboten schien. Den Haupt-Einwand, daß er sich durch einen fremdsprachigen Text jede Aussicht auf Verwirklichung des Werkes durch die deutsche Opernbühne verbauen werde, ließ er nicht gelten, weil er es überhaupt ablehnte, sich ein zeitgenössisches Publikum für seine exklusiven, abseitig-skurrilen Träume vorzustellen. Es war eine barocke Idee, die aber tief in seinem aus hochmütiger Weltscheu, dem altdeutschen Provinzialismus von Kaisersaschern und einem ausgesprochenen Gesinnungskosmopolitismus sich zusammensetzenden Wesen wurzelte. Nicht umsonst war er der Sohn der Stadt, in der Otto III. begraben lag. Seine Abneigung gegen das Deutschtum, das er verkörperte (ein Widerwille, der ihn übrigens mit {241} dem Anglisten und Anglomanen Schildknapp zusammenführte), trat in die beiden Erscheinungsformen versponnener Schüchternheit vor der Welt und eines inneren Bedürfnisses nach Welt und Weite auseinander, das ihn darauf bestehen ließ, dem deutschen Konzertsaal Gesänge in fremder Sprache zuzumuten, oder richtiger: sie ihm durch die fremde Sprache vorzuenthalten. Tatsächlich brachte er noch in meinem Leipziger Jahr Kompositionen von Originalgedichten Verlaines und des von ihm besonders geliebten William Blake zum Vorschein, die jahrzehntelang nicht gesungen worden sind. Die nach Verlaine habe ich später in der Schweiz gehört. Eines davon ist das wundervolle Gedicht mit der Schlußzeile »C'est l'heure exquise«; ein anderes das ebenso zauberhafte »Chanson d'Automne«; ein drittes der phantastisch melancholische, unsinnig melodiöse Dreistropher, der mit den Zeilen beginnt: »Un grand sommeil noir – Tombe sur ma vie.« Auch ein paar

Weitere Kostenlose Bücher