Doktor Faustus
ihm dort Demütigungen zu kosten gab, so haderte er mit seinem Lose und war ein verstimmter Mann, ein Schmoller, der den verfehlten Aufbau seines Lebens die Seinen durch schlechte Laune entgelten ließ. Rüdiger, sein Sohn, schilderte uns sehr anschaulich, indem er Komik vor Pietät setzte, wie die soziale Verbitterung des Vaters ihm, zusammen mit der Mutter, den Geschwistern, das Leben vergällt hatte, – dies um so empfindlicher, als sie sich, der Kultur des Mannes gemäß, nicht in grobem Zank, sondern als feinere Leidigkeit, ausdrucksvolle {244} Selbstbemitleidung kundgegeben hatte. Er war etwa zu Tische gekommen, um sogleich bei der Fruchtsuppe, in der Kirschen schwammen, heftig auf einen Kern zu beißen und sich eine Zahnkrone zu verletzen. »Ja, seht«, hatte er mit bebender Stimme gesagt, indem er die Arme ausbreitete, »so ist es, so geht es mir, so sieht es mir gleich, es ist in mich gelegt, es soll so sein! Ich hatte mich auf diese Mahlzeit gefreut, hatte einigen Appetit verspürt, der Tag ist warm, von der kalten Schale hatte ich mir Erfrischung versprochen. Da muß mir dies geschehen. Gut, ihr seht wohl, Freude ist mir nicht gewährt. Ich verzichte auf Weiteres. Ich ziehe mich auf mein Zimmer zurück. Laßt es euch schmecken!« hatte er mit versagender Stimme geschlossen und war von Tische gegangen, wohl wissend, daß es ihnen bestimmt nicht schmecken würde, da er sie in tiefer Depression zurückließ.
Man kann sich denken, wie erheitert Adrian durch die trübselig lustige Wiedergabe solcher mit jugendlicher Intensität erlebter Szenen war. Dabei hatten wir unser Lachen immer etwas zu dämpfen und im schonend Verständnisvollen zu halten, da es sich schließlich um des Erzählers Vater handelte. Rüdiger versicherte, das soziale Inferioritätsleiden des Familienhauptes habe sich mehr oder weniger ihnen allen mitgeteilt, er selbst habe es als eine Art von seelischem Knacks aus dem Elternhause davongetragen; aber gerade der Verdruß darüber schien einer der Gründe gewesen zu sein, weshalb er dem Vater nicht den Gefallen getan, in seiner Person die Scharte auszuwetzen, ihm die Hoffnung vereitelt hatte, doch wenigstens in dem Sohne noch Regierungsrat zu werden. Man hatte ihn das Gymnasium absolvieren lassen, ihn auf die Universität geschickt. Aber nicht einmal bis zum Assessor-Examen war er gediehen, sondern hatte sich der Literatur ergeben und lieber auf jede geldliche Versorgung von zu Hause verzichtet, als daß er den heißen, aber ihm widrigen Wünschen des Vaters genügt {245} hätte. Er schrieb Gedichte in freien Rhythmen, kritische Aufsätze und kurze Erzählungen in reinlicher Prosa, hatte aber, teils unter wirtschaftlichem Zwang, teils auch, weil seine Produktion nicht eben übermächtig sprudelte, seine Tätigkeit vorwiegend auf das Gebiet der Übersetzung, namentlich aus seiner Lieblingssprache, dem Englischen, verlegt und bediente nicht nur mehrere Verlage mit Verdeutschungen englischer und amerikanischer Unterhaltungsbelletristik, sondern ließ sich auch von einem Münchener Luxus- und Kuriositätenverlage mit der Übersetzung älteren englischen Schrifttums, der dramatischen Moralitäten Skeltons, einiger Stücke von Fletcher und Webster, gewisser Lehrgedichte von Pope beauftragen und besorgte vorzügliche deutsche Ausgaben von Swift und Richardson. Dergleichen Werke versah er mit wohlfundierten Einleitungen und betreute die Übertragung mit viel Gewissenhaftigkeit, Stilgefühl und Geschmack, bis zur Versessenheit bemüht um die Genauigkeit der Wiedergabe, das Sich-decken des sprachlichen Ausdrucks und mehr und mehr den intriguierenden Reizen und Mühen der Reproduktion verfallend. Dies nun aber brachte eine Seelenlage mit sich, die, auf anderer Ebene, derjenigen seines Vaters glich. Denn er fühlte sich zum selbst hervorbringenden Schriftsteller geboren und sprach bitter von dem notgedrungenen Dienst an fremdem Gut, der ihn verzehrte, und durch den er sich auf eine ihn kränkende Weise abgestempelt fand. Dichter wollte er sein, war es auch seiner Überzeugung nach, und daß er um des leidigen Broterwerbes willen den vermittelnden Literaten abgeben mußte, stimmte ihn absprechend kritisch gegen die Beiträge anderer und war Gegenstand seiner täglichen Klage. »Wenn ich bloß Zeit hätte«, pflegte er zu sagen, »und arbeiten dürfte, statt schuften zu müssen, so wollte ich es ihnen schon zeigen!« Adrian war geneigt, ihm das zu glauben, ich aber, vielleicht zu hart urteilend, vermutete
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