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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Erwägen von Möglichkeiten, vor deren Erfüllung die Entschlußunfähigkeit stand. Man sollte dies und jenes tun, dies und jenes sein oder haben. Man sollte einen Leipziger Gesellschaftsroman schreiben, sollte, sei es auch als Tellerwäscher, eine Weltreise machen, sollte Physik, Astronomie studieren, ein Gütchen erwerben und nur noch im Schweiße seines Angesichts die Scholle bestellen. Hatten wir uns in einem Kolonialwarengeschäft ein wenig Kaffee mahlen lassen, so war er imstande, beim Hinaustreten mit nachdenklichem Kopfnicken zu äußern: »Einen Kolonialwarenladen sollte man haben!«
    Von Schildknapps Unabhängigkeitssinn habe ich schon gesprochen. Es drückte sich dieser ja schon in seiner Verabscheuung des Staatsdienstes, seiner freien Berufswahl aus. Doch war er auch wieder vieler Herren Diener und hatte manches vom Krippenreiter. Warum hätte er übrigens bei seinen schmalen Verhältnissen nicht von seinem guten Aussehen, seiner gesellschaftlichen Beliebtheit einen nützlichen Gebrauch machen sollen? Er ließ sich viel einladen, aß da und dort zu Mittag in Leipziger Häusern, auch in reichen jüdischen, obgleich man antisemitische Äußerungen von ihm hören konnte. Leute, die sich zurückgesetzt, nicht nach Gebühr gewürdigt fühlen und sich dabei einer edlen Physis erfreuen, suchen oft ihre Genugtuung in rassischem Selbstgefühl. Das Besondere seines Falles war nur, daß er auch die Deutschen nicht mochte, von ihrer {249} völkergesellschaftlichen Inferiorität durchdrungen war und es nun wieder damit erklärte, daß er es eher noch oder lieber gleich mit den Juden hielt. Diese ihrerseits, die jüdischen Verlegersfrauen und Bankiersdamen, blickten mit der tiefgefühlten Bewunderung ihrer Rasse für deutsches Herrenblut und lange Beine zu ihm auf und genossen es sehr, ihn zu beschenken: die Sportstrümpfe, Gürtel, Sweater und Halstücher, die er trug, waren meistens Geschenke und nicht immer ganz unprovozierte. Denn wenn er eine Dame beim shopping begleitete, konnte er wohl auf einen Gegenstand weisen und sagen: »Nun, Geld würde ich dafür nicht geben. Höchstens geschenkt würde ich's nehmen.« Und er nahm es geschenkt, mit der Miene Eines, der ja gesagt hatte, daß er kein Geld dafür geben würde. Im Übrigen bewies er sich und anderen seine Unabhängigkeit durch die grundsätzliche Weigerung, sich gefällig zu erweisen, – also dadurch, daß er, wenn man ihn brauchte, bestimmt nicht zu haben war. Fehlte ein Tischherr, und bat man ihn, einzuspringen, so sagte er unfehlbar ab. Wünschte jemand, für eine Reise, einen vom Arzte vorgeschriebenen Kuraufenthalt sich seiner angenehmen Gesellschaft zu versichern, so war seine Weigerung desto gewisser, je deutlicher dem anderen an seiner Unterhaltung gelegen war. So hatte er sich ja auch dem Ansinnen Adrians verweigert, ihm »Love's labour lost« als Textbuch einzurichten. Dabei liebte er Adrian sehr, war ihm aufrichtig anhänglich, und dieser nahm ihm das Versagen nicht übel, war überhaupt voller Duldsamkeit gegen seine Schwächen, über die ja auch Schildknapp selber lachte, und viel zu dankbar für sein sympathisches Gespräch, seine Vatergeschichten, seine englische Albernheit, als daß er ihm etwas hätte nachtragen mögen. Nie habe ich ihn so viel lachen, und zwar Tränen lachen, sehen, wie beim Zusammensein mit Rüdiger Schildknapp. Ein echter Humorist, wußte der den unscheinbarsten Dingen eine momentan überwältigende Ko {250} mik abzugewinnen. So ist es ja eine Tatsache, daß das Zerbeißen von sprödem Zwieback das Gehör des Essers mit betäubendem Geräusch belegt, es gegen die Außenwelt absperrt; und Schildknapp demonstrierte nun also beim Tee, wie eine zwiebackessende Gesellschaft einander gar nicht verstehen könne und ihre Konversation auf »Wie beliebt?« »Haben Sie etwas gesagt?« »Einen Augenblick, bitte!« beschränken müsse. Wie konnte Adrian auch lachen, wenn Schildknapp mit seinem Spiegelbild haderte! Er war nämlich eitel, – nicht auf banale Art, sondern in dichterischer Hinsicht auf das unendliche, seine Entschlußfähigkeit weit übersteigende Glückspotential der Welt, für das er sich jung und schön zu halten wünschte, und grämte sich über die Neigung seines Gesichtes zu verfrühter Runzelbildung, vorzeitigem Verwittern. Ohnehin hatte sein Mund etwas Greisenhaftes, und zusammen mit der gerade darauf niedergehenden, etwas hängenden Nase, die man gern noch als klassisch anzusprechen bereit war, ließ er

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