Doktor Faustus
für zehn Tage ans Bett fesselte und die geistigen und körperlichen Kräfte des Sechzigjährigen noch lange beeinträchtigte, so ist es kein Wunder, daß aus Frühling und Sommer schon vorgeschrittener Herbst geworden ist, seit ich die ersten Zeilen {253} dieser Mitteilungen zu Papier brachte. Unterdessen haben wir die Zerstörung unserer würdigen Städte aus der Luft erlebt, die zum Himmel schreien würde, wenn nicht wir Schuldbeladenen es wären, die sie erleiden. Da aber wir es sind, erstickt der Schrei in den Lüften und kann, wie König Claudius' Gebet, »nicht zum Himmel dringen«. Wie wunderlich nimmt sich doch auch das gegen diese von uns heraufbeschworenen Untaten erhobene Kulturlamento im Munde derjenigen aus, die als die Künder und Bringer einer weltverjüngenden, in Ruchlosigkeit schwelgenden Barbarei den Schauplatz der Geschichte betraten! Mehrmals rückte das schütternde, stürzende Verderben meiner Klause atembeklemmend nahe. Das fürchterliche Bombardement der Stadt Dürers und Wilibald Pirckheimers war kein weit entferntes Ereignis mehr; und als das Jüngste Gericht auch München traf, saß ich bleich und wie die Wände, die Türen, die Fensterscheiben des Hauses bebend in meinem Studio und – schrieb mit zitternder Hand an vorliegender Lebensgeschichte. Denn diese Hand zittert ja ohnedies dabei, aus Gründen des Gegenstandes, und so ließ ich es mir nichts ausmachen, daß die gewohnte Erscheinung durch das äußere Schrecknis noch ein wenig verstärkt wurde.
Wir haben, sagte ich, mit der Art von Hoffnung und Stolz, die deutsche Kraftentfaltung uns erregt, den Anbruch eines neuen Sturmes unserer Wehrmacht gegen die russischen Horden erlebt, die ihr unwirtliches, aber offenbar sehr geliebtes Land verteidigen, – einer Offensive, die nach wenigen Wochen in eine russische umschlug und seitdem zu nicht endenden, nicht aufzuhaltenden Geländeverlusten, um nur vom Gelände zu reden, geführt hat. Mit tiefer Verblüffung nahmen wir die Landung amerikanischer und kanadischer Truppen an der Südost-Küste Siziliens, den Fall von Syrakus, Catania, Messina, Taormina zur Kenntnis und erfuhren mit einer Mischung aus Schrecken und Neid, mit dem durchdringenden Gefühl, daß {254} wir weder im guten noch schlechten Sinn dazu fähig wären, wie ein Land, dessen Geistesverfassung ihm noch erlaubt, aus einer Folge skandalöser Niederlagen und Verluste die nüchtern übliche Konsequenz zu ziehen, sich seines großen Mannes entledigte, um etwas später der Welt das zu gewähren, was man auch von uns verlangt, aber worein zu willigen die tiefste Not uns viel zu heilig und teuer sein wird: die unbedingte Übergabe. Ja, wir sind ein gänzlich verschiedenes, dem Nüchtern-Üblichen widersprechendes Volk von mächtig tragischer Seele, und unsere Liebe gehört dem Schicksal, jedem Schicksal, wenn es nur eines ist, sei es auch der den Himmel mit Götterdämmerungsröte entzündende Untergang!
Das Vordringen der Moskowiter in unserer zukünftigen Kornkammer, der Ukraine, und das elastische Zurückgehen unserer Truppen auf die Dnjepr-Linie begleitete meine Arbeit – oder vielmehr, diese begleitete die Ereignisse. Seit einigen Tagen scheint die Unhaltbarkeit auch dieser Verteidigungsbarre erwiesen, obgleich unser Führer, herbeieilend, dem Rückzug ein mächtiges Halt gebot, das treffende Rügewort von der »Stalingrad-Psychose« sprach und die Dnjepr-Linie um jeden Preis zu halten befahl. Der Preis, jeder Preis, wurde erlegt, allein vergebens; und wohin, wie weit die rote Flut, von der die Zeitungen sprechen, sich noch ergießen wird, ist unserer schon zu abenteuerlichen Ausschweifungen geneigten Einbildungskraft überlassen. Denn ins Gebiet des Phantastischen und gegen alle Ordnung und Vorhersicht Verstoßenden gehört es ja, daß Deutschland selbst zum Schauplatz eines unserer Kriege werden könnte. Wir haben das vor 25 Jahren im letzten Augenblick zu verhindern gewußt, aber unsere zunehmend tragisch-heroische Seelenlage scheint uns nicht mehr zu erlauben, eine verlorene Sache zu quittieren, bevor das Undenkbare sich verwirklicht. Gottlob liegen noch weite Strecken zwischen dem östlich andringenden Verderben und unseren heimatlichen {255} Gefilden, und wir mögen bereit sein, an dieser Front vorerst manche kränkende Einbuße hinzunehmen, um mit desto zäherer Kraft unseren europäischen Lebensraum gegen die westlichen Todfeinde deutscher Ordnung zu verteidigen. Die Invasion unseres schönen Siziliens bewies
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