Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
ausschweifend närrische Stücke aus den »Fêtes galantes« waren darunter, das »Hé! bonsoir, la Lune!« und vor allem der makabre, mit Kichern beantwortete Antrag: »Mourons ensemble, voulez-vous?« – Was Blake's seltsame Poesien betrifft, so hatte er die Strophen von der Rose in Töne gesetzt, deren Leben von der dunklen Liebe des Wurms zerstört wird, welcher den Weg in ihr karmesinfarbenes Bett gefunden hat. Dazu den unheimlichen Sechzehnzeiler vom »Poison Tree«, worin der Dichter seinen Grimm mit Tränen bewässert, mit Lächeln und tückischen Listen besonnt, so daß am Baume ein lockender Apfel wächst, mit dem sich der diebische Feind vergiftet: zur Freude des Hassers liegt er morgens tot unterm Baum. Die böse Schlichtheit des Gedichtes war in der Komposition vollkommen wiedergegeben. Aber einen noch tieferen Eindruck machte mir gleich bei erstem Hören ein Lied über Worte von Blake, die von einer goldenen Kapelle träumen, vor welcher Weinende, Trauernde, Betende stehen, ohne zu wagen, sie zu betreten. {242} Es erhebt sich nun das Bild einer Schlange, die mit zäher Mühe Eingang in das Heiligtum zu erzwingen weiß, die schleimige Länge ihres Leibes über den kostbaren Fußboden zieht und den Altar gewinnt, wo sie Brot und Wein mit ihrem Gifte bespeit. »So«, schließt der Dichter mit verzweiflungsvoller Logik, »darum« und »daraufhin«, sagt er, »begab ich mich in einen Koben und legte mich zwischen den Schweinen nieder.« – Die Traumbangigkeit der Vision, der wachsende Schrecken, das Grauen der Besudelung, endlich der wilde Verzicht auf ein durch den Anblick entehrtes Menschentum waren in Adrians Musik mit erstaunlicher Eindringlichkeit wiedergegeben.
    Doch das sind spätere Dinge, wenn sie auch alle in einen Abschnitt gehören, der Leverkühns Leipziger Jahre behandelt. An jenem Abend nach meiner Ankunft also hörten wir das Konzert des Schaffgosch-Quartetts zusammen und besuchten am nächsten Tage Wendell Kretzschmar, der mir unter vier Augen von Adrians Fortschritten auf eine Weise sprach, die mich stolz und glücklich machte. Nichts, sagte er, fürchte er weniger, als je bereuen zu müssen, daß er ihn zur Musik gerufen. Ein Mensch von solcher Selbstkontrolle und solcher Heikligkeit gegen das Abgeschmackte und alles dem Publikum Bequeme werde es zwar schwer haben, äußerlich wie innerlich; aber das sei hier gerade recht, denn nur die Kunst könne einem Leben Schwere verleihen, das sonst an seiner Facilität sich zu Tode langweilen würde. – Auch bei Lautensack und dem berühmten Bermeter schrieb ich mich ein, froh, daß ich um Adrians willen keine Theologie mehr zu hören brauchte, und ließ mich von ihm in den Kreis des »Café Central« einführen, eine Art von Bohême-Club, der ein verräuchertes Sonderzimmer des Lokals mit Beschlag belegt hatte, wo die Mitglieder nachmittags Zeitungen lasen, Schach spielten und die kulturellen Ereignisse besprachen. Es waren Konservatoristen, Maler, Schriftsteller, junge Verlagsbuchhändler, auch musisch {243} interessierte angehende Rechtsanwälte, dazu ein paar Schauspieler, Mitglieder der sehr literarisch geleiteten »Leipziger Kammerspiele«, u.s.f. Rüdiger Schildknapp, der Übersetzer, uns an Jahren beträchtlich voran, wohl Anfang dreißig, gehörte, wie schon erwähnt, zu der Runde, und da er der einzige war, an den Adrian sich enger anschloß, so trat auch ich ihm näher und verbrachte manche Stunde in beider Gesellschaft. Daß ich dabei ein kritisches Auge auf den Mann hatte, den Adrian seiner Freundschaft würdigte, wird, fürchte ich, der vorläufigen Skizze abzumerken sein, die ich hier von seiner Person entwerfen will, obgleich ich mich bemühen werde und mich immer bemüht habe, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
    Schildknapp war in einer schlesischen Mittelstadt als Sohn eines Postbeamten geboren, dessen Stellung sich über das Subalterne erhob, ohne in den eigentlich höheren, Akademikern vorbehaltenen Verwaltungsdienst, in die Regierungsrat-Sphäre weiterführen zu können. Ein solcher Posten fordert kein Abiturienten-Zeugnis, keine juristische Vorbildung; man erlangt ihn nach einigen Jahren Vorbereitungsdienst durch Ablegung der Obersekretär-Prüfung. Dies war der Weg Schildknapps des Älteren gewesen; und da er ein Mann von Erziehung und guter Form, auch gesellschaftlich ehrgeizig war, die preußische Hierarchie ihn aber von den oberen Zirkeln der Stadt entweder ausschloß oder, wenn sie ihn ausnahmsweise zuließ,

Weitere Kostenlose Bücher