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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Wasser, worin Jonathan ihn, vermutlich mit einer feinen Spritze, untergebracht hatte. Was er nun tat, war folgendes. Er nahm ein winziges Glasstäbchen, eigentlich nur ein Fädchen von Glas, das er mit Schellack bestrichen hatte, zwischen die Spitzen einer Pinzette und führte es in die Nähe des Tropfens. Nur das war es, was jener tat, das übrige tat der Tropfen. Er warf an seiner Oberfläche eine kleine Erhöhung, etwas wie einen Empfängnishügel auf, durch den er das Stäbchen der Länge nach in sich aufnahm. Dabei zog er sich selbst in die Länge, nahm Birnengestalt an, damit er seine Beute ganz einschließe und diese nicht an den Enden über ihn hinausrage, und begann, ich gebe jedermann mein Wort darauf, indem er allmählich sich wieder rundete, zunächst eine Ei-Form annahm, den Schellackaufstrich des Glasstäbchens abzuspeisen und in seinem Körperchen zu verteilen. Dies vollendet, beförderte er, zur Kugelgestalt zurückkehrend, das saubergeschleckte Darreichungsgerät querhin an seine Peripherie und wieder ins umgebende Wasser hinaus.
    Ich kann nicht behaupten, daß ich das gerne sah, aber ich gebe zu, daß ich gebannt davon war, und das war wohl auch Adrian, obgleich er immer bei solchen Vorführungen sehr stark zum Lachen versucht war und es allein aus Rücksicht auf den väterlichen Ernst unterdrückte. Allenfalls konnte man den fressenden Tropfen komisch finden; aber keineswegs war dies für mein Empfinden der Fall bei gewissen unglaublichen und geisterhaften Naturerzeugnissen, die dem Vater in sonderbarster Kultur zu züchten gelungen war, und die er uns ebenfalls zu betrachten gestattete. Ich werde den Anblick niemals verges {35} sen. Das Kristallisationsgefäß, in dem er sich darbot, war zu Dreivierteln mit leicht schleimigem Wasser, nämlich verdünntem Wasserglas gefüllt, und aus sandigem Grunde strebte darin eine groteske kleine Landschaft verschieden gefärbter Gewächse empor, eine konfuse Vegetation blauer, grüner und brauner Sprießereien, die an Algen, Pilze, festsitzende Polypen, auch an Moose, dann an Muscheln, Fruchtkolben, Bäumchen oder Äste von Bäumchen, da und dort geradezu an Gliedmaßen erinnerten – das Merkwürdigste, was mir je vor Augen gekommen: merkwürdig, nicht so sehr um seines allerdings sehr wunderlichen und verwirrenden Ansehens willen, als wegen seiner tief melancholischen Natur. Denn wenn Vater Leverkühn uns fragte, was wir davon hielten, und wir ihm zaghaft antworteten, es möchten Pflanzen sein, – »nein«, erwiderte er, »es sind keine, sie tun nur so. Aber achtet sie darum nicht geringer! Eben daß sie so tun und sich aufs beste darum bemühen, ist jeglicher Achtung würdig.«
    Es stellte sich heraus, daß diese Gewächse durchaus unorganischen Ursprungs waren, mit Hilfe von Stoffen zustandegekommen, die aus der Apotheke »Zu den Seligen Boten« stammten. Den Sand am Boden des Gefäßes hatte Jonathan, bevor er die Wasserglaslösung nachgoß, mit verschiedenen Kristallen, es waren, wenn ich nicht irre, solche von chromsaurem Kali und Kupfersulfat, bestreut, und aus dieser Saat hatte sich als Werk eines physikalischen Vorgangs, den man als »osmotischen Druck« bezeichnet, die bemitleidenswerte Zucht entwickelt, für die ihr Betreuer unsere Sympathie sogleich noch dringlicher in Anspruch nahm. Er zeigte uns nämlich, daß diese kummervollen Imitatoren des Lebens lichtbegierig, »heliotropisch« waren, wie die Wissenschaft vom Leben es nennt. Er setzte für uns das Aquarium dem Sonnenlicht aus, indem er drei seiner Seiten gegen dasselbe zu verschatten wußte, und siehe, nach derjenigen Scheibe des Glasgefäßes, durch die das {36} Licht einfiel, neigte sich binnen kurzem die ganze fragwürdige Sippschaft, Pilze, phallische Polypenstengel, Bäumchen und Algengräser nebst halbgeformten Gliedmaßen, und zwar mit so sehnsüchtigem Drängen nach Wärme und Freude, daß sie sich förmlich an die Scheibe klammerten und daran festklebten.
    »Und dabei sind sie tot«, sagte Jonathan und bekam Tränen in die Augen, während Adrian, wie ich wohl sah, von unterdrücktem Lachen geschüttelt wurde.
    Für mein Teil muß ich anheimstellen, ob dergleichen zum Lachen oder zum Weinen ist. Das eine nur sage ich: Gespenstereien wie diese sind ausschließlich Sache der Natur, und zwar besonders der vom Menschen mutwillig versuchten Natur. Im würdigen Reiche der Humaniora ist man sicher vor solchem Spuk.

IV
    Da der vorige Abschnitt ohnedies über Gebühr angeschwollen ist,

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