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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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die Versuchung näher liegt, als hier, einen werkmeisterlichen Zwischengott, den Demiurgos, einzuschalten, – ich wollte sagen: daß diese köstlichen Gehäuse das Produkt der Weichwesen selbst waren, die sie beschützten, das war dabei der erstaunlichste Gedanke.
    »Ihr«, sagte Jonathan zu uns, »habt, wie ihr leicht feststellen könnt, wenn ihr eure Ellbogen, eure Rippen befühlt, als ihr wurdet, in euerm Inneren ein festes Gestell, ein Skelett ausgebildet, das eurem Fleisch, eueren Muskeln Halt gewährt, und das ihr in euch herumtragt, wenn es nicht besser ist, zu sagen: es trägt euch herum. Hier nun ist es umgekehrt. Diese Geschöpfe haben ihre Festigkeit nach außen geschlagen, nicht als Gerüst, sondern als Haus, und eben daß sie ein Außen ist und kein Innen, muß der Grund ihrer Schönheit sein.«
    {30} Wir Knaben, Adrian und ich, sahen uns wohl mit halbem und verdutztem Lächeln an bei solchen Bemerkungen des Vaters, wie dieser über die Eitelkeit des Sichtbaren.
    Zuweilen war sie tückisch, diese Außenästhetik; denn gewisse Kegelschnecken, reizend asymmetrische, in ein geädertes Blaßrosa oder weißgeflecktes Honigbraun getauchte Erscheinungen, waren wegen ihres Giftbisses berüchtigt, – und überhaupt war, wenn man den Herrn des Buchelhauses hörte, eine gewisse Anrüchigkeit oder phantastische Zweideutigkeit von dieser ganzen wunderlichen Sektion des Lebens nicht fernzuhalten. Eine sonderbare Ambivalenz der Anschauung hatte sich immer in dem sehr verschiedenartigen Gebrauche kund gegeben, den man von den Prunkgehäusen machte. Sie hatten im Mittelalter zum stehenden Inventar der Hexenküchen und Alchimisten-Gewölbe gehört und waren als die passenden Gefäße für Gifte und Liebestränke befunden worden. Andererseits und zugleich aber hatten sie beim Gottesdienst zu Muschelschreinen für Hostien und Reliquien und sogar als Abendmahlskelche gedient. Wievieles berührte sich hier – Gift und Schönheit, Gift und Zauberei, aber auch Zauberei und Liturgie. Wenn wir es nicht dachten, so gaben Jonathan Leverkühns Kommentare es uns doch unbestimmt zu empfinden.
    Was nun jene Zeichenschrift betrifft, über die er sich gar niemals beruhigen konnte, so fand sie sich auf der Schale einer Neu-Kaledonischen Muschel von mäßiger Größe und war auf weißlichem Grunde in leicht rötlich-brauner Farbe ausgeführt. Die Charaktere, wie mit dem Pinsel gezogen, gingen gegen den Rand hin in reine Strich-Ornamentik über, hatten aber auf dem größeren Teil der gewölbten Fläche in ihrer sorgfältigen Kompliziertheit das entschiedenste Ansehen von Verständigungsmalen. Meiner Erinnerung nach zeigten sie starke Ähnlichkeit mit früh-orientalischen Schriftarten, etwa dem alt-aramäischen Duktus, und tatsächlich mußte mein Vater {31} seinem Freunde aus der gar nicht übel versehenen Stadtbibliothek von Kaisersaschern archäologische Bücher mitbringen, die die Möglichkeit der Nachforschung, des Vergleiches boten. Selbstverständlich führten diese Studien zu keinem Ergebnis oder doch nur zu so wirren und widersinnigen, daß sie auf nichts hinausliefen. Mit einer gewissen Melancholie gab Jonathan dies auch zu, wenn er uns die rätselhafte Abbildung zeigte. »Es hat sich«, sagte er, »die Unmöglichkeit erwiesen, dem Sinn dieser Zeichen auf den Grund zu kommen. Leider, meine Lieben, ist dem so. Sie entziehen sich unserem Verständnis, und es wird schmerzlicherweise dabei wohl bleiben. Wenn ich aber sage sie ›entziehen sich‹, so ist das eben nur das Gegenteil von ›sich erschließen‹, und daß die Natur diese Chiffern, zu denen uns der Schlüssel fehlt, der bloßen Zier wegen auf die Schale ihres Geschöpfes gemalt haben sollte, redet mir niemand ein. Zier und Bedeutung liefen stets nebeneinander her, auch die alten Schriften dienten dem Schmuck und zugleich der Mitteilung. Sage mir keiner, hier werde nicht etwas mitgeteilt! Daß es eine unzugängliche Mitteilung ist, in diesen Widerspruch sich zu versenken, ist auch ein Genuß.«
    Bedachte er, daß, wenn es sich wirklich hier um eine Geheimschrift hätte handeln sollen, die Natur über eine eigene, aus ihr selbst geborene, organisierte Sprache verfügen müßte? Denn welche vom Menschen erfundene sollte sie wählen, um sich auszudrücken? Schon damals aber, als Knabe, begriff ich sehr deutlich, daß die außerhumane Natur von Grund aus illiterat ist, was in meinen Augen eben gerade ihre Unheimlichkeit ausmacht.
    Ja, Vater Leverkühn war ein Spekulierer

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