Doktor Faustus
Adrians Physis viel mehr von der Mutter hatte, – wozu es nun wieder nicht stimmen will, daß es Adrian war, der die Neigung zur Migräne vom Vater geerbt hatte, und nicht Georg. Aber der Gesamthabitus des teuren Toten nebst vielen Einzelheiten: der brünette Teint, der Augenschnitt, die Mund- und Kinnbildung, alles kam von Mutters Seite, besonders deutlich, {39} solange er glattrasiert ging, also bevor er sich den stark verfremdenden Knebelbart wachsen ließ, was ja erst in späteren Jahren geschah. Das Pechschwarz der mütterlichen und der Azur der väterlichen Iris hatte sich in seinen Augen zu einem schattigen Blau-Grau-Grün vermischt, das kleine metallische Einsprengsel, dazu einen rostfarbenen Ring um die Pupillen zeigte; und immer war es mir eine seelische Gewißheit, daß es der Gegensatz zwischen den elterlichen Augen und die Mischung war, die ihre Farbe in den seinen eingegangen, was sein Schönheitsurteil in dieser Beziehung schwankend machte und ihn sein Leben lang nicht zur Entscheidung darüber kommen ließ, welchen Augen, den schwarzen oder blauen, er bei anderen den Vorzug gäbe. Immer aber war es das Extrem, der Teerglanz zwischen den Lidern oder das Lichtblau, was ihn bestach. –
Der Einfluß Frau Elsbeths auf das Hofgesinde von Buchel, das in wirtschaftlich ruhigen Jahreszeiten nicht eben zahlreich war und nur zur Erntezeit aus der umwohnenden Landbevölkerung vermehrt wurde, war der allerbeste und, wenn ich recht gesehen habe, ihre Autorität bei diesen Leuten sogar größer als die ihres Gatten. Das Bild einiger von ihnen schwebt mir noch vor: die Figur des Pferdeknechtes Thomas zum Beispiel, desselben, der uns vom Bahnhof Weißenfels abzuholen und wieder dorthin zu bringen pflegte, eines einäugigen, ausnehmend knochigen und langen, dabei aber, hoch oben, mit einem Höcker behafteten Menschen, auf dem er den kleinen Adrian öfters herumreiten ließ: es sei, hat mir der Meister später noch oft versichert, ein sehr praktischer und bequemer Sitz gewesen. Ferner gedenke ich einer Stallmagd namens Hanne, einer Person mit Schlotterbusen und nackten, ewig mistigen Füßen, mit der der Knabe Adrian aus noch näher zu bezeichnendem Grunde ebenfalls eine nähere Freundschaft unterhielt, und der Verwalterin des Molkereiwesens, Frau Luder, einer haubentragen {40} den Witwe, deren ungewöhnlich würdevoller Gesichtsausdruck zu einem Teil wohl der Verwahrung gegen ihren Namen galt, daneben aber auf die Tatsache zurückzuführen war, daß sie sich auf die Herstellung anerkannt vorzüglicher Kümmelkäse verstand. Sie war es, wenn nicht die Hausfrau selbst, die uns im Kuhstall bewirtete, diesem gütevollen Aufenthalt, wo unter den Strichen der auf dem Melkschemel kauernden Magd, die laue und schäumende, nach dem nutzbaren Tiere duftende Milch für uns in die Gläser rann.
Ich würde mich in Einzelerinnerungen an diese ländliche Kinderwelt nebst der umliegenden einfachen Szenerie von Feld und Wald, Teich und Hügel gewiß nicht verlieren, wenn es nicht eben die Früh-Umwelt Adrians bis zu seinem zehnten Jahre, sein Elternhaus, seine Ursprungslandschaft gewesen wäre, die mich so häufig mit ihm zusammen einschloß. Es war die Zeit, in der unser »du« wurzelte, und in der auch er mich mit Vornamen genannt haben muß, – ich höre es nicht mehr, aber es ist undenkbar, daß der Sechs- und Achtjährige nicht ebensogut »Serenus«, oder einfach »Seren« zu mir gesagt haben sollte, wie ich zu ihm »Adri«. Der Zeitpunkt läßt sich nicht feststellen, aber er muß schon in unsere frühe Schülerzeit gefallen sein, wo er aufhörte, mir dies zu gewähren und mich, wenn überhaupt, so nur noch mit Nachnamen anredete, während es mir vollkommen harsch und unmöglich erschienen wäre, ihm mit Gleichem zu erwidern. So war es – und es fehlte nur, daß es aussähe, als wollte ich mich beklagen. Nur eben erwähnenswert schien es mir, daß ich ihn »Adrian«, er dagegen mich, wenn er nicht überhaupt einer Namensverwendung auswich, »Zeitblom« nannte. – Lassen wir denn das kuriose Faktum, an das ich mich durchaus gewöhnt hatte, und kehren wir nach Buchel zurück!
Sein Freund, und auch meiner, war der Hofhund Suso – er führte sonderbarerweise diesen Namen –, eine etwas schäbige {41} Bracke, die, wenn man ihr die Mahlzeit brachte, breit über das ganze Gesicht zu lachen pflegte, aber für Fremde keineswegs ungefährlich war und das eigentümliche Leben des tagsüber an seine Hütte zu seinen
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