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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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tue ich gut, einen neuen zu eröffnen, um doch auch mit einigen Worten dem Bilde der Buchel-Wirtin, Adrians lieber Mutter, zu huldigen. Möge es immer sein, daß die Dankbarkeit, die man für seine Kindheit empfindet, dazu die schmackhaften Imbisse, die sie uns auftischte, dieses Bild verklären, – ich sage doch, daß mir in meinem Leben keine anziehendere Frau vorgekommen ist als Elsbeth Leverkühn, und ich spreche von ihrer schlichten, intellektuell durchaus anspruchslosen Person mit der Ehrerbietung, die die Überzeugung mir einflößt, daß das Genie des Sohnes der vitalen Wohlschaffenheit dieser Mutter viel zu danken hatte.
    Wenn es mir Freude machte, den schönen altdeutschen Kopf ihres Gatten zu betrachten, – auf ihrer so ganz und gar angenehmen, eigentümlich bestimmten und klar proportionierten Erscheinung verweilten meine Augen nicht weniger gern. Aus {37} der Gegend von Apolda gebürtig, war sie so brünetten Typs, wie es in deutschen Landen zuweilen vorkommt, ohne daß die erfaßbare Genealogie eine Handhabe zur Annahme römischen Bluteinschlages böte. Der Dunkelheit ihres Teints, der Schwärze ihres Scheitels und ihrer still und freundlich blickenden Augen nach hätte man sie für eine Welsche halten können, wenn nicht doch eine gewisse germanische Derbheit der Gesichtsbildung dem widersprochen hätte. Es bildete ein ziemlich kurzes Oval, dieses Gesicht, mit eher spitz zulaufendem Kinn, einer nicht eben regelmäßigen, leicht eingedrückten, vorn etwas aufgehobenen Nase und einem geruhigen, ohne Üppigkeit noch Schärfe geschnittenen Mund. Der die Ohren zur Hälfte bedeckende Scheitel, von dem ich sprach, und der sich, während ich heranwuchs, langsam versilberte, war sehr straff gezogen, so daß er spiegelte, und die Teilungslinie über der Stirn die weiße Kopfhaut bloßlegte. Trotzdem hing – nicht immer und also wohl nicht absichtlich – einiges loses Haar vor den Ohren sehr anmutig davon herunter. Der in unseren Kindertagen noch massige Zopf war nach bäuerlicher Art um den Hinterkopf geschlungen und an Festtagen wohl von einem farbig gestickten Bande durchzogen.
    Städtische Kleidung war so wenig ihre wie ihres Mannes Sache; das Damenhafte stand ihr nicht an, ausgezeichnet dagegen die ländlich-halbkostümliche Tracht, in der wir sie kannten, der feste, wie wir sagten: eigengemachte Rock, eine Art von bordiertem Mieder dazu, dessen eckiger Ausschnitt den einigermaßen gedrungenen Hals und den oberen Teil der Brust frei ließ, auf dem wohl ein einfacher, leichter Goldschmuck lag. Die bräunlichen, an Tätigkeit gewöhnten, aber so wenig groben wie überpflegten Hände, mit dem Ehereif an der Rechten, hatten, ich möchte sagen: etwas so menschlich Richtiges und Zuverlässiges, daß man ihnen mit Vergnügen zusah, ebenso wie den bestimmt auftretenden, nicht großen und nicht zu {38} kleinen, rechtschaffenen Füßen in den bequemen Schuhen mit flachen Absätzen und den grünen oder grauen Wollstrümpfen, die die wohlgebildeten Knöchel umspannten. Dies alles war angenehm. Das Schönste an ihr aber war ihre Stimme, der Lage nach ein warmer Mezzo-Sopran und in der Sprachbehandlung, bei leicht thüringisch gefärbter Lautbildung, ganz außerordentlich gewinnend. Ich sage nicht: »einschmeichelnd«, weil darin etwas von Absicht und Bewußtheit läge. Dieser Stimmreiz kam aus einer inneren Musikalität, die im übrigen latent blieb, da Elsbeth sich um Musik nicht kümmerte, sich sozusagen nicht zu ihr bekannte. Es kam vor, daß sie, ganz nebenbei, auf der alten Guitarre, die einen Wandschmuck des Wohnzimmers bildete, einige Akkorde griff und auch wohl eine oder die andere abgerissene Strophe eines Liedes dazu summte; aber auf eigentliches Singen ließ sie sich nicht ein, wiewohl ich wetten möchte, daß hier das trefflichste Material zu entwickeln gewesen wäre.
    Auf jeden Fall habe ich niemals lieblicher sprechen hören, obgleich, was sie sagte, stets nur das Einfachste und Sachlichste war; und meiner Meinung nach will es etwas heißen, daß dieser natürliche und von instinktivem Geschmack bestimmte Wohllaut von der ersten Stunde an mütterlich Adrians Ohr berührt hat. Für mich trägt es zur Erklärung des unglaublichen Klangsinnes bei, der sich in seinem Werk manifestiert, wenn auch der Einwand nahe liegt, daß sein Bruder Georg desselben Vorzugs genoß, ohne daß es irgendwelchen Einfluß auf die Gestaltung seines Lebens geübt hätte. Er sah übrigens dem Vater ähnlicher, während

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