Doktor Faustus
Schüsseln gebannten Kettenhundes führte, der nur in stiller Nacht frei auf dem Hofe umherschweift. Zusammen blickten wir in das sudelige Gedränge des Schweinekobens, wohl eingedenk alter Magdgeschichten, daß diese unreinlichen Pfleglinge mit den listigen, blondbewimperten Blauäuglein und den menschenfarbenen Speckleibern gelegentlich kleine Kinder fräßen, zwangen unsere Kehlen, das untergründige Nuck-Nuck ihrer Sprache nachzuahmen und betrachteten das rosige Gewuzel des Ferkelwurfes an den Zitzen der Muttersau. Zusammen belustigten wir uns an dem pedantischen, von würdig-gemäßigten Lauten begleiteten und nur zuweilen ins Hysterische ausbrechenden Leben und Treiben des Hühnervolkes hinter seinem Drahtgitter und statteten den Bienenwohnungen hinterm Hause zurückhaltende Besuche ab, bekannt mit dem nicht unerträglichen, aber dröhnenden Schmerz, den es verursachte, wenn eine dieser Sammlerinnen sich dir auf die Nase verirrte und zum Stiche sich unklug bemüßigt fand.
Ich gedenke der Johannisbeeren des Nutzgartens, deren Fruchtstengel wir durch die Lippen zogen, des Sauerampfers der Wiese, den wir kosteten, gewisser Blüten, aus deren Hals wir ein Spürchen feinen Nektars zu saugen wußten, der Eicheln, die wir im Wald, auf dem Rücken liegend, kauten, der purpurnen, sonnerwärmten Brombeeren, die wir am Weg von den Büschen lasen, und deren herber Saft unseren Kinderdurst stillte. Wir waren Kinder – nicht aus Eigenempfindsamkeit, sondern um seinetwillen, beim Gedanken an sein Geschick, an den ihm bestimmten Aufstieg aus dem Tale der Unschuld in unwirtliche, ja schauerliche Höhen, bewegt mich der Rückblick. Es war ein Künstlerleben; und weil mir, dem schlichten Manne, {42} beschieden war, es aus solcher Nähe zu sehen, hat sich alles Gefühl meiner Seele für Menschenleben und -los auf diese Sonderform menschlichen Daseins versammelt. Sie gilt mir, dank meiner Freundschaft mit Adrian, als das Paradigma aller Schicksals-Gestaltung, als der klassische Anlaß zur Ergriffenheit von dem, was wir Werden, Entwicklung, Bestimmung nennen, – und das mag sie denn wirklich wohl sein. Denn obwohl der Künstler seiner Kindheit zeitlebens näher, um nicht zu sagen: treuer bleiben mag, als der im Praktisch-Wirklichen spezialisierte Mann; obgleich man sagen kann, daß er, ungleich diesem, in dem träumerisch-reinmenschlichen und spielenden Zustand des Kindes dauernd verharrt, so ist doch sein Weg aus unberührter Frühzeit bis zu den späten, ungeahnten Stadien seines Werdens unendlich weiter, abenteuerlicher, für den Betrachter erschütternder, als der des bürgerlichen Menschen, und nicht halb so tränenvoll ist bei diesem der Gedanke, daß auch er einmal ein Kind gewesen.
Dringend bitte ich übrigens den Leser, was ich da mit Gefühl gesagt habe, durchaus auf meine, des Schreibenden, Rechnung zu setzen und nicht etwa zu glauben, es sei in Leverkühns Sinne gesprochen. Ich bin ein altmodischer Mensch, stehen geblieben bei gewissen, mir lieben romantischen Anschauungen, zu denen auch der pathetisierende Gegensatz von Künstlertum und Bürgerlichkeit gehört. Adrian hätte einer Äußerung, wie der vorstehenden, kühl widersprochen, – wenn er es überhaupt der Mühe wert gefunden hätte, ihr zu widersprechen. Denn er hatte über Kunst und Künstlertum äußerst nüchterne, ja, reaktiverweise, schneidende Meinungen und war dem »romantischen Brimborium«, das damit anzustellen der Welt eine Zeitlang beliebt habe, so abhold, daß er sogar die Wörter »Kunst« und »Künstler« nicht gerne hörte, wie man deutlich seinem Gesichte ansah, wenn sie fielen. Ebenso war es mit dem Worte »Inspiration«, das man in seiner Gesellschaft durchaus zu ver {43} meiden und allenfalls durch »Einfall« zu ersetzen hatte. Er haßte und verspottete jenes Wort – und ich kann nicht umhin, die Hand von dem meiner Schrift vorgelagerten Löschblatt zu erheben und damit die Augen zu bedecken, da ich dieses Hasses und Spottes gedenke. Ach, sie waren zu gequält, um nur das unpersönliche Ergebnis geistig-zeitlicher Veränderungen zu sein. Diese allerdings waren wirksam darin, und ich erinnere mich, daß er schon als Student einmal zu mir sagte, das neunzehnte Jahrhundert müsse ein ungemein gemütliches Zeitalter gewesen sein, da es niemals einer Menschheit saurer geworden sei, sich von den Anschauungen und Gewohnheiten der vorigen Epoche zu trennen, als dem jetzt lebenden Geschlechte.
Des Teiches, der, weidenumstanden, nur zehn
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