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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Sofa-Tisch mit Brokatdecke und einem reich gerahmten, stark nachgedunkelten Ölgemälde von 1850, welches das Goldene Horn mit dem Blick auf Galata darstellte, – kurz, mit Dingen, die sich als Reste eines einst wohlhäbigen bürgerlichen Haushalts zu erkennen gaben, war abends nicht selten der Schauplatz einer Geselligkeit in kleinem Kreise, zu der auch Adrian sich, anfangs widerstrebend, {286} dann gewohnheitsmäßig hinzuziehen ließ, um schließlich, wie die Umstände es mit sich brachten, ein wenig die Rolle des Haussohnes dabei zu spielen. Es war künstlerische oder halbkünstlerische Welt, die sich da zusammenfand, eine sozusagen stubenreine Bohême, gesittet und dabei frei, locker, amüsant genug, um die Erwartungen zu erfüllen, die Frau Senator Rodde bestimmt hatten, ihren Wohnsitz von Bremen nach der süddeutschen Hauptstadt zu verlegen.
    Ihre Bewandtnisse waren leicht zu durchschauen. Dunkeläugig, das braune, zierlich gekräuselte Haar nur wenig ergraut, von damenhafter Haltung, elfenbeinfarbenem Teint und angenehmen, noch ziemlich wohlerhaltenen Gesichtszügen, hatte sie ein Leben lang als gefeiertes Mitglied einer patrizischen Gesellschaft repräsentiert, einem dienstbotenreichen und verpflichtungsvollen Haushalt vorgestanden. Nach dem Tode ihres Gatten (dessen ernstes Portrait, im Amtsornat, ebenfalls den Salon schmückte), bei stark herabgesetzten Verhältnissen und wohl nicht ganz zu bewahrender Stellung in dem gewohnten Milieu, waren Wünsche einer unerschöpften und wahrscheinlich nie recht befriedigten Lebenslust in ihr frei geworden, die auf ein interessanteres Nachspiel ihres Lebens in menschlich wärmerer Sphäre abgezielt hatten. Ihre Gesellschaften gab sie, so wollte sie es wahrhaben, im Interesse ihrer Töchter, vorwiegend aber doch, wie ziemlich deutlich war, um selbst zu genießen und sich den Hof machen zu lassen. Man unterhielt sie am besten durch kleine, nicht zu weitgehende Schlüpfrigkeiten, Anspielungen auf die gemütlich-unbedenklichen Sitten der Kunststadt, Anekdoten von Kellnerinnen, Modellen, Malern, die ihr ein hohes und zierlich-sinnliches Lachen bei geschlossenem Munde entlockten.
    Augenscheinlich liebten ihre Töchter, Ines und Clarissa, dies Lachen nicht; sie tauschten kalt mißbilligende Blicke dabei, die alle Reizbarkeit erwachsener Kinder gegen das Unerledigt- {287} Menschliche im Wesen der Mutter erkennen ließen. Dabei war wenigstens im Falle der Jüngeren, Clarissas, die Entwurzelung aus dem Bürgerlichen bewußt, gewollt und betont. Die hochgewachsene Blondine mit dem großen, kosmetisch geweißten Gesicht, der gerundeten Unterlippe und dem wenig entwickelten Kinn bereitete sich auf die dramatische Laufbahn vor und nahm Unterricht bei dem Heldenvater des Hof- und Nationaltheaters. Sie trug ihr goldgelbes Haar in gewagter Frisur unter Hüten von Radgröße und liebte exzentrische Federboas. Übrigens ertrug ihre imposante Gestalt diese Dinge sehr wohl und absorbierte ihre Auffälligkeit. Eine Neigung zum Skurril-Makabren belustigte die ihr huldigende Herrenwelt. Ihr gehörte ein schwefelgelber Kater namens Isaak, den sie Trauer tragen ließ um den verstorbenen Papst, indem sie ihm eine schwarze Atlasschleife an den Schwanz band. Das Zeichen des Totenkopfes wiederholte sich in ihrem Zimmer, es war sowohl als wirkliches zähnebleckendes Skelettpräparat als auch in Form eines bronzenen Briefbeschwerers vorhanden, der das hohläugige Symbol der Vergänglichkeit und der »Genesung« auf einem Folianten liegend darstellte. Dieser trug in griechischen Lettern den Namen des Hippokrates. Das Buch war hohl, seine glatte Unterseite von vier kleinen, nur sehr sorgfältig, mit einem feinen Instrument zu lösenden Schräubchen gehalten. Als später Clarissa sich mit dem Gift, das in der Höhlung verschlossen war, das Leben genommen hatte, überließ mir Frau Senator Rodde den Gegenstand zum Andenken, und ich bewahre ihn noch.
    Auch Ines, die ältere Schwester, war zu einer tragischen Tat bestimmt. Sie vertrat – soll ich sagen: jedoch? – das erhaltende Element in der kleinen Familie, lebte im Protest gegen die Entwurzelung, das Süddeutsche, die Kunststadt, die Bohême, die Abendgesellschaften ihrer Mutter, rückwärts gewandt mit Betonung zum Alten, Väterlichen, Bürgerlich-Strengen und {288} Würdigen. Doch hatte man den Eindruck, daß dieser Konservatismus eine Schutzvorrichtung war gegen Spannungen und Gefährdungen ihres Wesens, auf die sie doch auch wieder ein

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