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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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werden zu lassen. Der Verleger seiner Übersetzungen aus älterer englischer Literatur hatte ja hier seinen Sitz, was von praktischem Wert für Rüdiger war; und außerdem hatte er wohl den Umgang mit Adrian entbehrt, den er denn auch sogleich wieder mit seinen Vatergeschichten und seinem »Besichtigen Sie jenes!« zum Lachen brachte. Er hatte nicht weit von der Wohnung des Freundes, im dritten Stock eines Hauses in der Amalienstraße ein Zimmer genommen, und dort saß er {293} nun, ausnehmend luftbedürftig von Natur, den ganzen Winter bei offenem Fenster, in Mantel und Plaid gehüllt, an seinem Tisch und rang, halb haßerfüllt und halb in leidenschaftlicher Verfallenheit, von Schwierigkeiten umgeben und Zigaretten verdampfend, um den genauen deutschen Gegenwert für englische Wörter, Phrasen und Rhythmen. Er pflegte mit Adrian zu Mittag zu essen, im Hoftheater-Restaurant oder in einer der Keller-Gaststätten der inneren Stadt, hatte aber sehr bald, durch Leipziger Verbindungen, Zugang zu Privathäusern gefunden und es erreicht, daß, von abendlichen Einladungen zu schweigen, da und dort auch mittags ein Gedeck für ihn auflag, – etwa nachdem er mit der von seiner herrenmäßigen Armut bezauberten Hausfrau shopping gegangen war. So war es bei seinem Verleger, Inhaber der Firma
Radbruch & Co.
in der Fürstenstraße; so bei den Schlaginhaufens, einem älteren, vermögenden und kinderlosen Ehepaar, welches, der Mann von schwäbischer Herkunft und Privatgelehrter, die Frau aus Münchener Familie, in der Briennerstraße eine etwas düstere, aber prächtige Wohnung innehatte. Ihr säulengeschmückter Salon war der Treffpunkt einer das Künstlerische und das Aristokratische umfassenden Gesellschaft, wobei es der Hausfrau, einer geborenen von Plausig, das Liebste war, wenn beide Elemente sich in ein und derselben Person vereinigten, wie in der des Generalintendanten der königlichen Schauspiele, Exzellenz von Riedesel, der dort verkehrte. – Ferner speiste Schildknapp bei dem Industriellen
Bullinger
, einem reichen Papierfabrikanten, der in der Wiedenmayerstraße am Fluß die Bel-Etage des von ihm errichteten Mietshauses bewohnte; in der Familie eines Direktors der Pschorrbräu-Aktiengesellschaft und noch an anderen Orten.
    Bei Schlaginhaufens hatte Rüdiger auch Adrian eingeführt, der dort denn also, ein einsilbiger Fremdling, mit geadelten Malergrößen, der Wagner-Heroine Tanja Orlanda, auch noch {294} mit Felix Mottl, bayerischen Hofdamen, dem »Urenkel Schillers«, Herrn von Gleichen-Rußwurm, der kulturgeschichtliche Bücher schrieb, und mit solchen Schriftstellern, die überhaupt nichts schrieben, sondern sich nur als Sprechliteraten gesellschaftlich interessant verausgabten, oberflächlich und folgenlos zusammentraf. Allerdings war es auch hier, wo er zuerst die Bekanntschaft Jeanette Scheurls machte, einer vertrauenswürdigen Person von eigentümlichem Charme, gut zehn Jahre älter als er, Tochter eines verstorbenen bayerischen Verwaltungsbeamten und einer Pariserin, – einer gelähmt im Stuhl verharrenden, aber geistig energischen alten Dame, die sich niemals die Mühe gegeben hatte, Deutsch zu lernen: mit Recht, da ihr im Glücke phraseologischer Konvention auf Schienen laufendes Französisch geradezu für Geld und Stand aufkam. In der Nähe des Botanischen Gartens bewohnte Mme. Scheurl mit ihren drei Töchtern, von denen Jeanette die Älteste, ein recht beschränktes Appartement, in dessen vollständig pariserisch anmutendem kleinen Salon sie außerordentlich beliebte musikalische Tee-Empfänge gab. Hier überfüllten die Standard-Stimmen von Kammersängern und -sängerinnen die engen Räume zum Bersten. Oft hielten blaue Hofkutschen vor dem bescheidenen Hause.
    Jeanette angehend, so war sie Verfasserin, Romandichterin. Zwischen den Sprachen aufgewachsen, schrieb sie in einem reizend inkorrekten Privatidiom damenhafte und originelle Gesellschaftsstudien, die des psychologischen und musikalischen Reizes nicht entbehrten und unbedingt zur höheren Literatur zählten. Auf Adrian war sie sofort aufmerksam geworden und hielt sich zu ihm, der sich denn auch in ihrer Nähe, ihrem Gespräch geborgen fühlte. Von mondäner Häßlichkeit, mit elegantem Schafsgesicht, darin sich das Bäuerliche mit dem Aristokratischen mischte, ganz ähnlich wie in ihrer Rede das bayerisch Dialekthafte mit dem Französischen, war sie außer {295} ordentlich intelligent und zugleich gehüllt in die naiv nachfragende

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