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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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intellektuelles Gewicht legte. Sie war zierlicher von Gestalt als Clarissa, mit der sie sich sehr wohl vertrug, während sie die Mutter still und deutlich ablehnte. Schweres aschblondes Haar belastete ihr Haupt, das sie bei gedehntem Halse und gespitzt lächelndem Munde schräg vorgeschoben trug. Die Nase war etwas höckerig, der Blick ihrer blassen Augen fast von den Lidern verhängt, matt, zart und unvertrauend, ein Blick des Wissens und der Trauer, wenn auch nicht ohne einen Versuch der Schalkhaftigkeit. Ihre Erziehung war nicht mehr als hoch korrekt gewesen; zwei Jahre hatte sie in einem vornehmen, vom Hofe protegierten Karlsruher Mädchenpensionat verbracht. Sie befleißigte sich keiner Kunst oder Wissenschaft, sondern legte Wert darauf, sich als Haustochter in der Wirtschaft zu betätigen, las aber viel, schrieb außerordentlich wohlstilisierte Briefe »nach Hause«, in die Vergangenheit, an ihre Pensionsvorsteherin, an ehemalige Freundinnen und dichtete unter der Hand. Ihre Schwester ließ mich eines Tages ein Poem von ihr, betitelt »Der Bergmann«, sehen, dessen erste Strophe mir gegenwärtig ist. Sie lautete:
    »Ich bin ein Bergmann in der Seele Schacht
    Und steige still und furchtlos dunkelwärts
    Und seh' des Leidens kostbar Edelerz
    Mit scheuem Schimmer leuchten durch die Nacht …«
     
    Ich habe das Weitere vergessen. Nur die Schlußzeile ist mir noch geblieben:
    »Und nie verlang' ich mehr empor zum Glück.«
    {289} Soviel für jetzt von den Töchtern, zu denen Adrian in hausgenössisch freundschaftliche Beziehungen trat. Sie schätzten ihn nämlich beide und beeinflußten auch ihre Mutter dahin, ihn wert zu halten, obgleich sie ihn wenig künstlerisch fand. Die Gäste des Hauses angehend, so mochte es so sein, daß eine wechselnde Auswahl von ihnen, darunter auch Adrian oder, wie es hieß, »unser Mieter, Herr Dr. Leverkühn«, schon zum Abendessen in das mit einem für den Raum viel zu monumentalen und überreich geschnitzten Eichenbuffet geschmückte Speisezimmer der Roddes gebeten waren; die anderen fanden sich um 9 Uhr oder später zum Musizieren, Teetrinken und Plaudern ein. Es waren Kollegen und Kolleginnen Clarissas, ein oder der andere feurige junge Mann mit Zungen-R und Fräulein mit gut vornsitzenden Stimmen; sodann ein Ehepaar Knöterich, – der Mann, Konrad Knöterich, autochthon münchnerisch, dem Ansehen nach einem alten Germanen, Sugambier oder Ubier gleich – es fehlte nur obenauf der gedrehte Haarschopf –, von unbestimmt künstlerischer Beschäftigung – er wäre wohl eigentlich Maler gewesen, dilettierte aber im Instrumentenbau und spielte recht wild und ungenau das Cello, wobei er heftig durch seine Adlernase schnob –, die Frau, Natalia, brünett, mit Ohrringen und schwarzen, in die Wangen sich biegenden Ringellöckchen, von spanisch-exotischem Einschlag und ebenfalls malerisch tätig; dann ein Gelehrter, Dr. Kranich, Numismatiker und Konservator des Münzkabinetts, klar, fest und heiter-verständig von Redeweise, jedoch bei asthmatisch belegter Stimme; ferner zwei befreundete Maler und Mitglieder der Sezession, Leo Zink und Baptist Spengler, – Österreicher der eine, aus der Gegend von Bozen, und Spaßmacher seiner gesellschaftlichen Technik nach, ein einschmeichelnder Clown, der unaufhörlich in sanft schleppender Sprache sich selbst und seine überlange Nase ironisierte, ein etwas faunischer Typ, die Frauen mit dem wirklich sehr komischen Blick seiner dicht {290} beieinanderliegenden Rundaugen zum Lachen reizend, was immer ein guter Anfang ist, – der andere, Spengler, aus Mitteldeutschland gebürtig, mit sehr starkem blonden Schnurrbart, ein skeptischer Weltmann, vermögend, wenig arbeitend, hypochondrisch, belesen, stets lächelnd im Gespräch und rasch mit den Augen blinzelnd. Ines Rodde mißtraute ihm höchlichst, – inwiefern, sagte sie weiter nicht, sprach aber zu Adrian von ihm als einem versteckten Menschen und heimlichen Schleicher. Dieser gestand, daß Baptist Spengler etwas intelligent Beruhigendes für ihn habe, und er unterhielt sich gern mit ihm, – gab aber viel weniger den Werbungen eines weiteren Gastes nach, der sich um seine Sprödigkeit zutraulich bemühte. Es war Rudolf Schwerdtfeger, ein begabter junger Geiger, Mitglied des Zapfenstößer-Orchesters, das neben der Hofkapelle eine bedeutende Rolle im musikalischen Leben der Stadt spielte, und in welchem er unter den ersten Violinen arbeitete. In Dresden geboren, aber seiner Herkunft

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