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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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wisse: Wir stehen dir für die Lebenswirksamkeit dessen, was du mit unserer Hilfe vollbringen wirst. Du wirst führen, du wirst der Zukunft den Marsch schlagen, auf deinen Namen werden die Buben schwören, die dank deiner Tollheit es nicht mehr nötig haben, toll zu sein. Von deiner Tollheit werden sie in Gesundheit zehren, und in ihnen wirst du gesund sein. Verstehst du? Nicht genug, daß du die lähmenden Schwierigkeiten der Zeit durchbrechen wirst, – die Zeit selber, die Kulturepoche, will sagen, die Epoche der Kultur und ihres Kultus wirst du durchbrechen und dich der Barbarei erdreisten, die's zweimal ist, weil sie nach der Humanität, nach der erdenklichsten Wurzelbehandlung und bürgerlichen Verfeinerung kommt. Glaube mir! sogar auf Theologie versteht sie sich besser, als eine vom Kultus abgefallene Kultur, die auch im Religiösen nur eben Kultur sah, nur Humanität, nicht den Exzeß, das Paradox, die mystische Leidenschaft, die völlig unbürgerliche Aventüre. Ich hoffe doch, du wunderst dich nicht, daß dir Sankt Velten vom Religiösen spricht? Potz Stern! Wer anders, möcht ich wissen, soll dir wohl heute davon sprechen? Der liberale Theolog doch nicht? Bin ich doch nachgerade der Einzige, der's konserviert! Wem willst du theologische Existenz zuerkennen, wenn nicht mir? Und wer will eine theologische {356} Existenz führen ohne mich? Das Religiöse ist so gewiß mein Fach, wie es kein Fach der bürgerlichen Kultur ist. Seit die Kultur vom Kultus abgefallen ist und aus sich selber einen gemacht hat, ist sie denn auch nichts andres mehr, als ein Abfall, und alle Welt ist ihrer nach bloßen fünfhundert Jahren so müd und satt, als wenn sie's, salva venia, mit eisernen Kochkesseln gefressen hätt …‹
    Es war hier, es war schon etwas früher, schon bei dem Speiwerk, das er über sich selbst als den Wahrer des religiösen Lebens, über des Teufels theologische Existenz in dozierend fließender Rede geäußert hatte, daß ich gewahr ward: es sah wieder anders aus mit dem Kerl vor mir im Sofa, er schien der bebrillte Musikintelligenzler nicht mehr, als der er eine Weile zu mir gesprochen, saß auch nicht mehr recht in seiner Ecke, sondern ritt légèrement im Halbsitz auf der gerundeten Seitenlehne des Sofas, die Fingerspitzen im Schoße durcheinandergesteckt und beide Daumen starr davon wegstreckend. Ein geteiltes Bärtchen am Kinn ging ihm beim Reden auf und ab, und überm offenen Munde, drin kleine scharfe Zähne sich sehen ließen, stand ihm das spitzgedrehte Schnurrbärtchen strack dahin.
    Mußt ich doch lachen in meiner Frostvermummung ob seiner Metamorphose ins Altvertraute.
    ›Ganz ergebener Diener!‹ sag ich. ›So sollt ich euch kennen, und recht artig find ich's von euch, daß ihr mir hier im Saal ein Privatissimum lest. Wie's jetzo die Mimicry mit euch gemacht hat, hoff ich euch bereit zu finden, meine Wißbegier zu kühlen und mir fein euer freies Vorhandensein zu beweisen, indem ihr mir nicht nur von Dingen lest, die ich schon aus mir selber weiß, sondern von solchen einmal, die ich erst wissen möcht. Ihr habt mir viel von der Stundglas-Zeit gelesen, die ihr verhandelt, auch von den Schmerzensanzahlungen, die zwischenein fürs hohe Leben zu leisten, aber nicht vom Ende, von dem, {357} was nachher kommt, der ewigen Tilgung. Danach geht meine Neugier, und ihr habt, solange ihr dahockt, der Frage nicht Raum geben mit eurem Gerede. Soll ich beim Geschäft den Preis nicht kennen nach Kreuz und Münz? Steht Rede! Wie lebt sich's in Klepperlins Haus? Was wartet derer, die euch zu Huld genommen, in der Spelunke?‹
    Er
(lacht hoch und gicksend): ›Von der pernicies, der confutatio willst du Wissenschaft? Nenn ich Fürwitz, nenn ich gelehrten Jugendmut! Hat ja soviel Zeit damit, unabsehbar, und kommt erst zuvor soviel Aufregendes, daß du andres zu tun haben wirst, als ans Ende zu denken, oder auch nur auf den Augenblick achtzuhaben, wo es Zeit werden könnte, ans Ende zu denken. Will dir aber die Auskunft nicht weigern und brauche nicht schön zu färben, denn wie kann dich ernstlich kümmern, was noch so lange hin? Nur, nicht leicht ist es, eigentlich davon zu reden, – das will sagen: eigentlich kann man überhaupt und ganz und garnicht davon reden, weil sich das Eigentliche mit den Worten nicht deckt; man mag viel Worte brauchen und machen, aber allesamt sind sie nur stellvertretend, stehen für Namen, die es nicht gibt, können nicht den Anspruch erheben, das zu bezeichnen, was nimmermehr

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