Doktor Faustus
Geld verdiente, und ließ einen Teil der Partitur von »Love's Labour Lost« schon in seinen Händen zurück. Ganz fertig war er in Palestrina mit seinem Werk nicht geworden, instrumentierte noch an den beiden letzten Akten, war auch mit der sonatenförmigen Ouvertüre noch nicht im reinen, deren ursprüngliche Konzeption sich ihm durch die Einführung jenes frappierenden und der Oper selbst ganz fremden, in der Wiederholung und im Schluß-Allegro eine so geistvolle Rolle spielenden Nebenthemas stark verändert hatte, und hatte überdies viel Mühe mit der Eintragung der Vortrags- und Tempobezeichnungen, die er während des Komponierens über weite Strecken hin anzumerken versäumt hatte. Übrigens war mir klar, daß es nicht zufällig mit der Beendigung seines italienischen Aufenthaltes und dem Abschluß des Werkes nicht hatte stimmen wollen. Selbst wenn er bewußterweise nach dieser Koinzidenz gestrebt hatte, war sie nach heimlicher Absicht nicht zustande gekommen. Viel zu sehr war er der Mann des Semper idem und der Selbstbehauptung gegen die Umstände, um es als wünschenswert anzusehen, bei einem Szenenwechsel des Lebens mit der im vorigen Zustand betriebenen Sache rein zu Rande gekommen zu sein. Besser, um der inneren Kontinuität willen, sei es, so sagte er selbst, in die neuen Verhältnisse {372} einen Rest der den alten zugehörigen Beschäftigung mitzubringen und innerlich Neues erst ins Auge zu fassen, wenn das äußerlich Neue Routine geworden sei.
Mit seinem niemals schweren Gepäck, zu dem eine die Partitur bergende Aktenmappe und die Gummiwanne gehörten, die ihm schon in Italien das Bad ersetzt hatte, fuhr er vom Starnberger Bahnhof in einem der Personenzüge, die nicht nur in Waldshut, sondern, zehn Minuten später, auch in Pfeiffering halten, an sein Ziel, indem er zwei Kisten mit Büchern und Utensilien der Fracht überließ. Es ging der Oktober zu Ende, das Wetter, noch trocken, war rauh schon und düster. Die Blätter fielen. Der Sohn des Hauses Schweigestill, Gereon, derselbe, der die neue Düngerstreu-Maschine eingeführt hatte, ein eher unverbindlicher und kurz angebundener, aber offenbar seiner Angelegenheiten sicherer junger Ackerbürger, erwartete vor der kleinen Station den Gast auf dem Bock eines Char à bancs, das hoch von Gestell und hart gefedert war, und ließ, während der Träger die Handkoffer einlud, die Peitschenschnur über den Rücken des Gespanns, zweier muskulöser Braunen, spielen. Es wurden auf der Fahrt nicht viele Worte gewechselt. Den Rohmbühel mit seinem Baumkranz, den grauen Spiegel des Klammerweihers hatte Adrian schon vom Zuge aus wiedergesehen; jetzt ruhte sein Auge von nahebei auf diesen Erscheinungen. Bald war das Klosterbarock von Haus Schweigestill in Sicht; im offenen Viereck des Hofes beschrieb das Gefährt einen Bogen um die im Wege stehende alte Ulme herum, deren Blätter zum guten Teil schon auf der sie einfassenden Rundbank lagen.
Frau Schweigestill stand mit Clementine, ihrer Tochter, einem braunäugigen Landmädchen in züchtig bäuerlicher Tracht, vor dem Haustor mit dem geistlichen Wappen. Ihre Begrüßungsworte gingen unter in dem Gebell des Kettenhundes, der vor Aufregung in seine Schüsseln trat und fast seine {373} strohbelegte Hütte von der Stelle gerissen hätte. Es fruchtete nichts, daß sowohl Mutter wie Tochter wie auch die beim Abladen des Gepäcks behilfliche mistfüßige Stallmagd (Waltpurgis) ihm ihr »Geh, Kaschperl, sei stat!« zuriefen (das im Dialekt stehen gebliebene althochdeutsche stâti, im Mittelhochdeutschen stäte, dann »stet«, das ist: »ruhig« und »unbeweglich«). Der Hund tobte weiter, und Adrian, nachdem er eine Weile lächelnd hinübergesehen, ging zu ihm heran. »Suso, Suso«, sagte er, ohne die Stimme zu erheben, mit einer gewissen erstaunt mahnenden Betonung, und siehe: wohl rein unter dem Einfluß des beschwichtigend summenden Lautes, kam fast ohne Übergang das Tier zur Ruhe und ließ es zu, daß der Beschwörer die Hand ausstreckte und sanft seine von alten Beißereien narbige Schädeldecke streichelte, wobei es mit seinen gelben Augen in tiefem Ernst zu ihm emporblickte.
»Mut haben's, Respekt!« sagte Frau Else, als Adrian zum Tor zurückkehrte. »Die meisten Leut haben Angst vor dem Viech, und wenn sich's anstellt, wie grad jetzt, kann man's auch keinem verdenken. Der junge Lehrer vom Dorf, den wo früher die Kinder g'habt ham – o mei, er war bloß ein Krischperl – hat alleweil g'sagt: ›Den Hund,
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