Doktor Faustus
Frieden!« zurufen. Die Geborgenheit Adrians vor unseren Lebetagen ist mir teuer, ich halte sie wert vor mir und nehme dafür, daß ich mir ihrer bewußt sein darf, gern die Schrecken der Zeit in Kauf, in der ich fortwähre. Es ist mir, als stände und lebte ich für ihn, statt seiner, als trüge ich die Last, die seinen Schultern erspart geblieben, kurz, als erwiese ich ihm ein Liebes, indem ich's ihm abnähme zu leben; und diese Vorstellung, so illusorisch, ja närrisch sie sei, tut mir wohl, sie schmeichelt dem stets gehegten Wunsch, ihm zu dienen, zu helfen, ihn zu schützen, – diesem Bedürfnis, dem zu Lebzeiten des Freundes nur so geringfügige Befriedigung vergönnt war.
***
Bemerkenswert bleibt mir, daß Adrians Aufenthalt in der Schwabinger Pension nur einige Tage währte und daß er überhaupt keinen Versuch machte, in der Stadt eine passende Dauer-Wohnung aufzutreiben. Schildknapp hatte schon von Italien aus an seine früheren Mietsleute in der Amalienstraße geschrieben und sich die gewohnte Unterkunft aufs neue gesichert. Adrian dachte nicht daran, etwa bei der Senatorin Rodde wieder Wohnung zu nehmen, noch überhaupt in München zu bleiben. Seine Entschlüsse schienen seit langem stillschweigend festgestanden zu haben – und zwar so, daß er auch nicht erst eine vorläufige Fahrt nach Pfeiffering bei Waldshut, zur Rekognoszierung und Abrede unternahm, sondern sie durch ein bloßes Telephon-Gespräch, noch dazu ein ganz bündiges, ersetzte. Er rief aus der Pension Gisella die Schweigestills an – es war Mutter Else selbst, die ihm am Apparat respondierte –, stellte sich als einen der beiden Radfahrer vor, die einst Haus und Hof hatten inspizieren dürfen, und fragte an, ob und zu welchem Preise man ihm ein Schlafzimmer im Oberstock und als Tagesaufenthalt die Abtsstube im Erdgeschoß überlassen {370} wolle. Den Preis, der sich dann, Verköstigung und Bedienung eingeschlossen, als sehr mäßig erwies, ließ Frau Schweigestill zunächst noch dahinstehen; sie machte erst einmal aus, um welchen der beiden Besucher von damals es sich handelte, den Schriftsteller oder den Musiker, nahm mit einem spürbaren Nachprüfen ihres Eindrucks von damals zur Kenntnis, daß es der Musiker sei, und erhob Bedenken gegen sein Ansuchen dann allein in seinem eigenen Interesse und unter seinem eigenen Gesichtspunkt, – übrigens auch dies nur in der Form, daß sie meinte, er müsse am besten wissen, was ihm fromme. Sie, Schweigestills, sagte sie, seien keine Gewohnheitsvermieter von Erwerbs wegen, sondern nähmen nur gelegentlich, sozusagen von Fall zu Fall, Mieter und Kostgänger auf; das hätten die Herren ja damals gleich aus ihren Mitteilungen entnehmen können, und ob er, Sprecher, nun eine solche Gelegenheit und einen solchen Fall darstelle, das zu beurteilen müsse sie ihm überlassen. Recht still und einförmig werde er es halt haben bei ihnen, übrigens auch primitiv, was die Bequemlichkeiten angehe: kein Badezimmer, kein W.C., sondern was Bäurisches statt dessen, außer dem Hause, und sie wundere sich doch, daß ein Herr von, wenn sie recht verstanden habe, noch nicht dreißig, der einer von den schönen Künsten nachgehe, so abseits von den Stätten, wo die Kultur sich abspiele, auf dem Lande, sein Quartier machen wolle. Vielmehr »wundern« sei nicht das rechte Wort, es liege nicht in ihrer und ihres Mannes Art, sich zu wundern, und wenn es vielleicht gerade das sei, was er suche, weil sich ja wirklich die meisten Leut zu viel wunderten, dann möge er nur kommen. Zu überlegen aber sei es, besonders da Max, ihr Mann, und sie selbst Wert darauf legten, daß ein solches Verhältnis nicht bloßer Laune entspringe, kündbar nach kurzem Versuch, sondern daß ihm von vornherein eine gewisse Dauer zugedacht sei, net wahr, gellen's ja? usw.
Er komme für die Dauer, antwortete Adrian, und überlegt sei {371} die Sache seit Jahr und Tag. Die Lebensform, die ihn erwarte, sei innerlich geprüft, gut befunden und angenommen. Mit dem Preis, einhundertundzwanzig Mark monatlich, sei er einverstanden. Die Auswahl des Schlafzimmers droben lasse er ihre Sache sein und freue sich auf die Abtsstube. Über drei Tage wolle er einziehen.
Und so geschah es. Adrian benutzte seinen kurzen Aufenthalt in der Stadt zu Verabredungen mit einem ihm empfohlenen (ich glaube: von Kretzschmar empfohlenen) Kopisten, erstem Fagottbläser des Zapfenstößer-Orchesters, Griepenkerl mit Namen, der sich durch diesen Nebenberuf ein Stück
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