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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Frau Schweigestill, fiacht i nämlich!‹«
    »Ja, ja!« lachte Adrian kopfnickend, und sie gingen ins Haus, in die Knaster-Atmosphäre, gingen hinauf in den Oberstock, wo die Frau ihn in das ihm zugedachte Schlafzimmer am weißen, modrig riechenden Gang einführte, mit dem bunten Spind, dem hoch aufgemachten Bett. Man hatte ein übriges getan und noch einen grünen Lehnstuhl hineingestellt mit einer Flickendecke zu Füßen davor auf dem fichtenen Boden. Gereon und Waltpurgis stellten die Handkoffer dorthin.
    Schon hier und auf dem Wege die Treppe wieder hinab begannen die Verabredungen für des Gastes Bedienung und Lebensordnung, die dann in der Abtsstube drunten, diesem {374} charaktervoll altväterischen Raum, von dem Adrian längst innerlich Besitz ergriffen hatte, fortgesetzt und festgelegt wurden: der große Krug heißen Wassers am Morgen, der starke Kaffee im Schlafzimmer, die Stunde der Mahlzeiten, – Adrian sollte sie nicht mit der Familie nehmen, man hatte das nicht erwartet, auch lagen für ihn die Zeiten zu früh; um ein einhalb und acht Uhr sollte ihm einzeln aufgedeckt sein, am besten im großen Zimmer vorn (dem Bauernsaal mit der Nike und dem Tafelklavier), meinte Frau Schweigestill, das ihm ohnehin auch nach Bedarf zur Verfügung stehe. Und sie versprach leichte Kost, Milch, Eier, geröstetes Brot, Gemüsesuppen, ein gutes rohes Beefsteak mit Spinat zu Mittag und hinterdrein eine handliche Omelette mit Apfel-Marmelade darin, kurz Dinge, die nährten und dabei einem heikligen Magen genehm seien wie also dem seinen.
    »Der Magen, mei' Liaba, das ist meist garnet der Magen, es ist der Kopf, der heiklige, angestrengte Kopf, der wo einen so großen Einfluß hat auf den Magen, auch wenn dem selber gar nichts fehlt«, wie man es ja an der Seekrankheit kenne und an der Migräne … Aha, Migräne habe er manchmal, und zwar recht schwer? Sie habe sich's doch gedacht! Sie habe sich's tatsächlich vorhin schon gedacht, als er im Schlafzimmer die Läden und die Verdunkelungsmöglichkeit so genau untersucht habe; denn Dunkelheit, im Dunkeln liegen, Nacht, Finsternis, überhaupt kein Licht in die Augen, das sei ja das Rechte, solang die Misere daure, und dazu recht starken Tee, recht sauer von viel Zitrone. Frau Schweigestill war nicht unbekannt mit der Migräne, – will sagen: sie selbst hatte sie nie gekannt, wohl aber hatte ihr Max in früheren Jahren periodisch daran gelitten; mit der Zeit habe das Übel bei ihm sich verloren. Von Entschuldigungen des Gastes seiner Infirmität wegen, und daß er mit seiner Person sozusagen einen Quartalspatienten ins Haus geschmuggelt habe, wollte sie nichts hören und sagte {375} nur: »A, geh'!« dazu. Irgend etwas dergleichen, meinte sie, habe man sich doch gleich denken müssen; denn wenn Einer wie er sich von dort, wo die Kultur vor sich gehe, nach Pfeiffering zurückziehe, so werde er ja seine Gründe dafür haben, und offenbar handle es sich denn doch um einen Fall, der Anspruch auf Verständnis habe, gellen's, Herr Leverkühn? Dies aber sei ein Ort des Verständnisses, wenn auch nicht der Kultur. Und was die brave Frau sonst noch sagte.
    Zwischen ihr und Adrian wurden damals im Stehen und Umhergehen Abmachungen getroffen, die, unerwartet vielleicht für beide, auf neunzehn Jahre sein äußeres Leben ordnen sollten. Es wurde der Dorfschreiner gerufen, daß er in der Abtsstube zu seiten der Tür den Raum ausmäße für Borte zur Aufnahme von Adrians Büchern, nicht höher jedoch, als die alte Holzverkleidung unter der Ledertapete; auch wurde die Elektrifizierung des Kronleuchters mit den Wachskerzenstummeln gleich ausgemacht. Noch diese und jene Veränderung erfuhr mit der Zeit das Zimmer, dem es bestimmt war, die Geburt so vieler, der öffentlichen Kenntnisnahme und Bewunderung heute noch mehr oder weniger vorenthaltener Meisterwerke zu sehen. Ein fast die Fläche füllender Teppich bedeckte bald, im Winter nur allzu notwendig, die schadhaften Bretterdielen; und zu der, außer dem Savonarola-Sessel vorm Arbeitstisch, die einzige Sitzgelegenheit bildenden Eckbank kam, ohne Stilzärtelei, die nicht Adrians Sache war, schon nach einigen Tagen ein sehr tiefer, mit grauem Sammet bezogener, bei Bernheimer in München erworbener Lese- und Ruhestuhl, ein löbliches Stück, das im Verein mit dem heranzuschiebenden Fußteil, einem Kissen-Taburett, eher den Namen der »Chaise-longue« verdiente, als der übliche Diwan, und seinem Besitzer fast zwei Jahrzehnte lang gute Dienste

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