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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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den Menschen liegt in der Natur der Dinge, – vielmehr sie liegt bereits in deiner Natur, wir auferlegen dir beileibe nichts Neues, die Kleinen machen nichts Neues und Fremdes aus dir, sie verstärken und übertreiben nur sinnreich alles, was du bist. Ist etwa die Kälte bei dir nicht vorgebildet, so gut wie das väterliche Hauptwee, aus dem die Schmerzen der kleinen Seejungfrau werden sollen? Kalt wollen wir dich, daß kaum die Flammen der Produktion heiß genug sein sollen, dich darin zu wärmen. In sie wirst du flüchten aus deiner Lebenskälte …‹
    Ich:
›Und aus dem Brande zurück ins Eis. Es ist augenscheinlich die Hölle im voraus, die ihr mir schon auf Erden bereitet.‹
    Er:
›Es ist das extravagante Dasein, das einzige, das einem stolzen Sinn genügt. Dein Hochmut wird es wahrlich nie mit einem lauen vertauschen wollen. Schlägst du mir's dar? Eine werkgefüllte Ewigkeit von Menschenleben lang sollst du's genießen. Lief das Stundglas aus, will ich gut Macht haben, mit der feinen geschaffenen Creatur nach meiner Art und Weise und nach meinem Gefallen zu schalten und walten, zu führen und zu regieren, – mit allem, es sei Leib, Seel, Fleisch, Blut und Gut in alle Ewigkeit …‹
    Da war er wieder, der unbändige Ekel, der mich schon einmal {365} vorher gepackt, und der mich schüttelte, zusammen mit der gletscherhaft verstärkten Welle von Frost, die von dem knapp behosten Mannsluder auf mich eindrang. Ich vergaß meinselbst vor wildem Dégoût, es war wie Ohnmacht. Und dann hört ich Schildknapps Stimme, der in der Sofaecke saß, gemächlich zu mir sagen:
    ›Natürlich haben Sie nichts versäumt. Giornali und zwei Billards, eine Runde Marsala, und die Biedermänner haben das governo durch die Hechel gezogen.‹
    Saß ich doch im Sommeranzug bei meiner Lampe, auf den Knien das Buch des Christen! Ist nicht anders: Muß in meiner Empörung das Luder verjagt und meine Hüllen ins Nebenzimmer zurückgetragen haben, bevor der Gefährte kam.«

XXVI
    Es ist tröstlich, mir sagen zu können, daß der Leser den außerordentlichen Umfang des vorigen Abschnitts, der ja die beunruhigende Seitenzahl des Kapitels über Kretzschmars Vorträge noch beträchtlich übertrifft, nicht mir wird zur Last legen dürfen. Die damit verbundene Zumutung liegt außer meiner Autorenverantwortung und darf mich nicht kümmern. Adrians Niederschrift irgendeiner erleichternden Redaktion zu unterwerfen; das »Zwiegespräch« (man beachte die protestierenden Gänsefüßchen, mit denen ich dies Wort versehe, ohne mir freilich zu verhehlen, daß sie ihm nur einen Teil des ihm innewohnenden Grauens zu entziehen vermögen) – dies Gespräch also in einzeln bezifferte Paragraphen aufzulösen, konnte keine Rücksicht auf die ermüdbare Rezeptionsfähigkeit des Publikums mich bewegen. Mit leidvoller Pietät hatte ich ein Gegebenes wiederzugeben, es von Adrians Notenpapier in mein Manuskript zu übertragen; und das habe ich nicht nur Wort für Wort, sondern, ich darf wohl sagen: Buchstaben für {366} Buchstaben getan, – oft die Feder niederlegend, oft zu meiner Erholung mich unterbrechend, um mit gedankenschweren Schritten mein Arbeitszimmer zu durchmessen oder mich, die Hände über der Stirn gefaltet, aufs Sofa zu werfen, so daß mir tatsächlich, wie sonderbar das klingen möge, ein Kapitel, das ich nur zu kopieren hatte, nicht schneller von der so manches Mal zitternden Hand gegangen ist, als irgend ein früheres eigener Komposition.
    Ein sinn- und gedankenvolles Abschreiben ist in der Tat (wenigstens für mich; aber auch Monsignore Hinterpförtner stimmt mir hierin bei) eine ebenso intense und zeitverzehrende Beschäftigung, wie das Niederlegen eigener Gedanken, und wie schon an früheren Punkten der Leser die Zahl der Tage und Wochen, die ich der Lebensgeschichte meines verewigten Freundes schon gewidmet hatte, unterschätzt haben mag, so wird er auch jetzt bei seiner Vorstellung hinter dem Zeitpunkt zurückgeblieben sein, zu dem ich die gegenwärtigen Zeilen abfasse. Möge er meine Pedanterie belächeln, aber ich halte es für richtig, ihn wissen zu lassen, daß, seit ich diese Aufzeichnungen begann, schon fast ein Jahr ins Land gegangen und über der Abfassung der jüngsten Kapitel der April 1944 herangekommen ist.
    Selbstverständlich meine ich mit diesem Datum dasjenige, unter dem ich selbst mit meiner Tätigkeit stehe, – nicht das, bis zu welchem meine Erzählung fortgeschritten ist, und das ja auf den Herbst 1912,

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