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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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echten Räuberbande überfallen worden waren, – was bestimmt von Voß arrangiert gewesen sei. Adrianen sagte er gescheite Artigkeiten über die Brentano-Gesänge, die er gekauft und am Piano studiert hatte. Er tat damals die Äußerung, daß die Beschäftigung mit diesen Liedern eine entschiedene und fast gefährliche
Verwöhnung
bedeute: Nicht leicht wolle einem etwas anderes von der Gattung danach noch gefallen. Sagte auch weiter noch ganz gute Dinge über die Verwöhnung, – als welche ja zuerst den hochbedürftigen Künstler selbst betreffe und ihm gefährlich werden könne. Denn mit jedem zurückgelegten Werk mache er sich das Leben schwerer und endlich doch wohl unmöglich, da die Selbstverwöhnung durch das Außergewöhnliche und an allem anderen den Geschmack Verderbende ihn zuletzt in die Disintegration, ins Unmachbare, nicht mehr zu Bewerkstelligende treiben müsse. Das Problem für den Hochbegabten sei, wie er sich trotz der immer fortschreitenden Verwöhnung und um sich greifenden Ekeligkeit, immer doch noch im Machbaren halte.
    So gescheit war Spengler – nur auf Grund seiner spezifischen Festgelegtheit, wie sein Blinzeln und Meckern andeuteten. – Nach diesen kamen Jeanette Scheurl und Rudi Schwerdtfeger zum Tee, um zu sehen, wie Adrian wohnte.
    Jeanette und Schwerdtfeger musizierten manchmal zusammen, sowohl vor den Gästen der alten Madame Scheurl wie auch privatim, und so hatten sie sich zu der Fahrt nach Pfeiffering verabredet, wobei Rudolf die telephonische Anmeldung {379} übernommen hatte. Ob auch die Anregung sein gewesen oder diese von Jeanette ausgegangen war, blieb dahingestellt. Sie stritten sogar darüber in Adrians Gegenwart und schoben einander das Verdienst an der Aufmerksamkeit zu, welche sie ihm erwiesen. Jeanettens drollige Impulsivität spricht für ihre Autorschaft; aber gar zu gut stimmte der Einfall doch auch wieder mit Rudis erstaunlicher Zutraulichkeit zusammen. Er schien der Meinung zu sein, daß er sich vor zwei Jahren mit Adrian geduzt habe, während es doch nur ganz gelegentlich, im Karneval, und auch dann durchaus einseitig, nämlich auf Rudis Seite, zu dieser Anrede gekommen war. Nun nahm er sie treuherzig wieder auf und stand – übrigens ohne jede Empfindlichkeit – erst davon ab, als Adrian schon zum zweiten oder dritten Mal das Eingehen darauf verweigert hatte. Die unverhohlene Erheiterung der Scheurl über diese Niederlage seiner Zutunlichkeit berührte ihn gar nicht. Kein Anflug von Verwirrung zeigte sich in seinen blauen Augen, die mit so dringlicher Naivität in den Augen dessen wühlen konnten, der etwas Gescheites, Gelehrtes oder Gebildetes sagte. Noch heute denke ich nach über Schwerdtfeger und frage mich, wie weit er sich eigentlich auf Adrians Einsamkeit und damit auch auf die Bedürftigkeit, Verführbarkeit solchen Alleinseins verstand und seine gewinnenden oder, um mich derb auszudrücken, herumkriegenden Talente daran zu bewähren wünschte. Zweifellos war er zum Gewinnen und Erobern geboren; aber ich müßte fürchten, ihm Unrecht zu tun, wenn ich ihn nur von dieser Seite sähe. Er war auch ein guter Kerl und ein Künstler, und daß Adrian und er einander später tatsächlich duzten und mit Vornamen nannten, möchte ich nicht als einen schnöden Erfolg von Schwerdtfegers Gefallsucht betrachten, sondern darauf zurückführen, daß er den Wert des außerordentlichen Menschen redlich empfand, ihm wahrhaft zugetan war und daraus die verblüffende Unbeirrbarkeit schöpfte, die schließlich über die {380} Kälte der Melancholie den Sieg – übrigens einen verhängnisvollen Sieg – davontrug. – Aber nach alter, fehlerhafter Gewohnheit greife ich vor.
    In ihrem großen Hut, von dessen Rand sich ein feiner Schleier zur Nasenspitze spannte, spielte Jeanette Scheurl Mozart auf dem Tafelklavier im Schweigestillschen Bauernsalon, und Rudi Schwerdtfeger pfiff dazu mit einer bis zur Lächerlichkeit erfreulichen Kunstfertigkeit: Ich habe das später auch bei Roddes und Schlaginhaufens gehört und mir von ihm erzählen lassen, wie er schon als ganz kleiner Junge, bevor er Violinunterricht bekam, diese Technik auszubilden begonnen und sich im reinen Nachpfeifen vernommener Musikstücke, fast wo er ging und stand, geübt, auch später an dem Erworbenen immer fortentwickelt hatte. Es war glänzend, – eine kabarettreife Fertigkeit, die fast mehr imponierte als sein Geigenspiel, und für die er organisch besonders glücklich angelegt sein mußte. Die

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