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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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leistete.
    Die Einkäufe (Teppich und Stuhl) in dem Ausstattungspalast am Maximiliansplatz erwähne ich teilweise zu dem Zweck, {376} um deutlich zu halten, daß dem Verkehr mit der Stadt durch reichliche Zugverbindungen, darunter mehrere Schnellzüge, die weniger als eine Stunde brauchten, bequemer Vorschub geleistet war und Adrian sich denn doch nicht, wie die Ausdrucksweise Frau Schweigestills vermuten lassen könnte, durch seine Niederlassung in Pfeiffering völlig in Einsamkeit vergrub und vom »Kulturleben« abschnitt. Selbst wenn er eine abendliche Veranstaltung, ein Akademie-Konzert oder ein solches der Zapfenstößer-Kapelle, eine Opern-Aufführung oder eine Gesellschaft – auch das kam vor – besuchte, stand ihm ein 11 Uhr-Zug zur nächtlichen Heimfahrt zur Verfügung. Freilich durfte er dann nicht auf Abholung von der Station durch Schweigestill'sches Fuhrwerk rechnen; Abmachungen mit einem Waldshuter Fuhrgeschäft galten in solchen Fällen, und übrigens liebte er es sogar, in klaren Winternächten den Weg am Weiher entlang zum schlummernden Schweigestill-Hof zu Fuße zu machen, wobei er dem um diese Stunde der Kette ledigen Kaschperl oder Suso von weitem ein Zeichen zu geben wußte, damit er nicht Lärm schlüge. Er tat es auf einem durch Schraubwerk umzustimmenden Metallpfeifchen, dessen oberste Töne von so extrem hoher Schwingungszahl waren, daß das menschliche Ohr sie selbst in der Nähe kaum aufnahm. Dagegen wirkten sie sehr stark und aus erstaunlich weiter Ferne auf das ganz anders geartete Trommelfell des Hundes, und Kaschperl verhielt sich mucks-mäuschenstill, wenn der geheime, sonst von niemandem vernommene Laut durch die Nacht zu ihm gedrungen war.
    Es war Neugier, es war aber auch die Anziehungskraft, die meines Freundes kühl verschlossene, ja, in Hochmut scheue Person auf so manchen ausübte, daß umgekehrt bald auch dieser und jener Besuch aus der Stadt sich in seinem Refugium einfand. Ich will Schildknappen den Vortritt lassen, den er in Wirklichkeit besaß: Natürlich war er der Erste, der herüber {377} kam, um zu sehen, wie Adrian es an der gemeinsam ausfindig gemachten Stätte triebe; und in der Folge, besonders zur Sommerszeit, verbrachte er oft das Wochenende bei ihm in Pfeiffering. Zink und Spengler sprachen zu Rade vor, denn Adrian hatte, zu Einkäufen in der Stadt, die Roddes in der Rambergstraße wieder begrüßt, und durch die Töchter hatten die Malerfreunde von seiner Rückkehr gehört, seinen Aufenthalt erfahren. Aller Vermutung nach war die Initiative zu dem Besuch in Pfeiffering bei Spengler gewesen, denn Zink, als Maler begabter und antriebvoller, als jener, aber menschlich viel unfeiner, hatte gar keinen Sinn für Adrians Wesen und war gewiß eben nur, als der Unzertrennliche, dabei, – österreichisch einschmeichelnd, mit »Küß die Hand« und falscher Jessasja-Bewunderung für alles, was man ihm zeigte, im Grunde feindselig. Seine Clownerien, die possierlichen Wirkungen, die er aus seiner langen Nase, seinen dicht beieinander liegenden, die Frauen lächerlich hypnotisierenden Augen zog, verfingen nun wieder bei Adrian nicht, so dankbar empfänglich der sonst für das Komische war. Es leidet aber dieses unter der Eitelkeit; und dann war da bei dem faunischen Zink eine schon langweilige Art, im Gespräch auf jedes Wort aufzupassen, ob ihm nicht ein geschlechtlicher Doppelsinn beizulegen sei, in den er einhaken konnte, – eine Manie, die Adrian, wie Zink wohl merkte, auch nicht eben entzückte.
    Spengler, blinzelnd und ein Grübchen in der Wange, lachte herzlich meckernd bei diesen Zwischenfällen. Das Geschlechtliche amüsierte ihn in einem literarischen Sinn; sexus und Geist hingen ihm eng zusammen, – was an sich nicht falsch ist. Seine Bildung (wir wissen es ja), sein Sinn für Verfeinerung, Esprit, Kritik gründete in seinem akzidentellen und malheurhaften Verhältnis zur geschlechtlichen Sphäre, der körperlichen Festlegung darauf, die das reine Pech und für sein Temperament, seine Leidenschaftlichkeit in dieser Beziehung wei {378} ter gar nicht charakteristisch war. Lächelnd plauderte er, in der Art jener ästhetischen Kultur-Epoche, die heute so tief versunken scheint, von künstlerischen Vorkommnissen, literarischen und bibliophilen Erscheinungen, referierte Münchener Stadtklatsch und verweilte sehr drollig auch bei einer Geschichte, wie der Großherzog von Weimar und der Theaterdichter Richard Voß, zusammen in den Abruzzen reisend, von einer

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