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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Silbermitgift ausgestattet, ihm eine tadellos repräsentierende Hausfrau sein werde.
    So stellten sich mir die Dinge, von Dr. Institoris aus gesehen, dar. Versuchte ich, mit den Augen des Mädchens auf ihn zu blicken, so verlor die Sache an Stimmigkeit. Ich konnte dem durchaus kleinlichen und um sich selbst besorgten, zwar feinen und trefflich gebildeten, aber körperlich durchaus unherrlichen Mann (er hatte übrigens auch einen trippelnden Gang) mit dem Aufgebot meiner ganzen Phantasie keinen Appell für {420} das andere Geschlecht zuschreiben, – während ich doch fühlte, daß Ines, bei aller verschlossenen Strenge ihrer Magdschaft, eines solchen Appells im Grunde bedurfte. Hinzu kam der Gegensatz zwischen den philosophischen Gesinnungen, der theoretischen Lebensstimmung der beiden, – der diametral und geradezu exemplarisch zu nennen war. Es war, auf die kürzeste Formel gebracht, der Gegensatz zwischen Ästhetik und Moral, der ja zu einem guten Teil die kulturelle Dialektik jener Epoche beherrschte und sich in diesen beiden jungen Leuten gewissermaßen personifizierte: der Widerstreit zwischen einer schulmäßigen Glorifizierung des »Lebens« in seiner prangenden Unbedenklichkeit – und der pessimistischen Verehrung des Leidens mit seiner Tiefe und seinem Wissen. Man kann sagen, daß an seiner schöpferischen Quelle dieser Gegensatz eine persönliche Einheit gebildet hatte und erst in der Zeit streitbar auseinandergefallen war. Dr. Institoris war – man muß hinzufügen: Du lieber Gott! – mit Haut und Haar ein Renaissancemensch und Ines Rodde ganz ausgesprochen ein Kind des pessimistischen Moralismus. Für eine Welt, die »von Blut und Schönheit rauchte«, hatte sie nicht das geringste übrig, und was das »Leben« betraf, so suchte sie ja gerade Schutz davor in einer streng bürgerlichen, vornehmen und wirtschaftlich wohlgepolsterten Ehe, die nach Möglichkeit jeden Stoß abhielt. Es war eine Ironie, daß der Mann – oder das Männchen –, der ihr diese Zuflucht bieten zu wollen schien, so sehr für schöne Ruchlosigkeit und italienische Giftmorde schwärmte.
    Ich bezweifle, daß die beiden sich in weltanschaulichen Kontroversen ergingen, wenn sie allein waren. Sie sprachen dann wohl von näher liegenden Dingen und versuchten einfach, wie es sein würde, wenn sie sich verlobten. Die Philosophie war mehr ein Gegenstand höherer gesellschaftlicher Unterhaltung, und ich erinnere mich allerdings an mehrere Gelegenheiten, bei denen, in größerem Kreise, am Rast- und Weintisch in einer {421} Ballsaal-Laube, ihre Gesinnungen konversationell aufeinander stießen: wenn etwa Institoris behauptete, nur Menschen mit starken, brutalen Trieben könnten große Werke schaffen, und Ines dagegen protestierte, indem sie geltend machte, es seien oft höchst christliche, vom Gewissen gebeugte, vom Leiden verfeinerte und gegen das Leben düster gestimmte Verfassungen gewesen, aus denen in der Kunst das Große hervorgegangen sei. Mir schienen solche Antithesen müßig und zeitgebunden, der Wirklichkeit, nämlich dem selten geglückten und gewiß immer prekären Gleichgewicht von Vitalität und Infirmität, das offenbar das Genie ausmacht, schienen sie mir gar nicht gerecht zu werden. Aber hier vertrat nun einmal der eine Part das, was er
war
, nämlich die Lebenskränklichkeit, und der andere das, was er
anbetete
, nämlich die Kraft, und so mußte man sie gewähren lassen.
    Einmal, wie ich mich erinnere, als wir so beisammen saßen (auch Knöterichs, Zink und Spengler, Schildknapp und sein Verleger Radbruch waren von der Partie), entspann sich der freundschaftliche Streit gar nicht zwischen den Liebesleuten, wie man wohl anfangen konnte sie zu nennen, sondern, fast komischer Weise, zwischen Institoris und Rudi Schwerdtfeger, der, sehr nett als Jägerbursche gekleidet, eben einmal bei uns saß. Ich weiß wirklich nicht mehr genau, um was es sich handelte; jedenfalls war die Meinungsverschiedenheit aus einer ganz unschuldigen Bemerkung Schwerdtfegers hervorgegangen, bei der er sich wenig oder nichts gedacht hatte. Sie betraf das »Verdienst«, soviel weiß ich, ein Erkämpftes, Errungenes, durch Willensanstrengung und Selbstüberwindung Geleistetes, und Rudolf, der das Vorkommnis von Herzen gelobt und es verdienstvoll genannt hatte, konnte gar nicht verstehen, was Institoris nur einfiel, daß er ihm das verwies und kein Verdienst anerkennen wollte, welches schwitzte. Vom Standpunkt der Schönheit, sagte er, sei nicht

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